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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel
Autoren: Lukianenko Sergej
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Urmanns also doch Recht: Es war möglich, ohne jede technische Unterstützung in die Tiefe einzutreten.
    Ich zog den Sensoranzug aus und schleppte mich zum Sofa.

111
    Der Fernseher weckte mich. Obwohl ich in eine Decke gehüllt war, fror ich, denn die Heizung war noch nicht angestellt worden. Eine Weile lauschte ich dem Nachrichtensprecher. Politik, Wirtschaft, Devisenkurse, bla, bla, bla. Ob der gestrige Aufruhr in der virtuellen Welt es wohl in die Nachrichten schaffte? Vielleicht. Irgendwo zwischen den Beitrag über die Ankunft eines Rockstars in Piter und die Sportmeldungen. Ins Vermischte. Das Fernsehen liebte Reportagen aus Deeptown. Die Leute amüsierten sich, wenn sie die Comiclandschaften und die designten Menschen sahen. Wahrscheinlich war es ganz gut, wenn sie über uns lachten. Wenn sie uns nicht fürchteten … nicht beneideten … nicht hassten …
    Ich hob den Kopf und sah ängstlich auf die Uhr. Sie war stehen geblieben, offenbar schon gestern. Typisch! Ständig vergaß ich, sie aufzuziehen. Ich tastete auf dem Fußboden nach der Fernbedienung und blendete die Zeit auf dem Fernsehbildschirm ein.
    Sieben. Bestens. Das reichte.

    Mein ganzer Körper schmerzte, mein Kopf war schwer wie immer, wenn ich etliche Stunden ein- und aufgetaucht war. Im Grunde ist der Mensch überhaupt nicht für die virtuelle Welt geeignet. Vielleicht würde für alle Bürger Deeptowns in ein oder zwei Jahren die Stunde kommen, wo sie die Quittung dafür präsentiert bekamen: in Form von Lähmungen, Blindheit und Infarkten. Dann würde Dibenkos Name in den Dreck gezogen werden, sämtliche Konzerne, die auf die virtuelle Welt gesetzt hatten, pleitegehen und alle seriösen Wissenschaftler behaupten, sie hätten diese Entwicklung seit langem prophezeit und unermüdlich vor ihr gewarnt.
    Warten wir’s ab. Auf jeden Fall dürfte ich die Chance haben, diese Konsequenzen als einer der Ersten zu spüren.
    Vielleicht würde jedoch auch das Gegenteil eintreten, jener Durchbruch, von dem ich geträumt und mit dem Dibenko fest gerechnet hatte. Dann würde das, was ich gestern geschafft hatte, allen möglich sein. Dann würden die beiden Welten, die virtuelle und die reale, zu einer verschmelzen. Du wärest mit einem einzigen Schritt in der Tiefe . Ohne jede Krücke …
    Ich stand auf und machte das Bett, schrubbte den Boden, wischte Staub, holte alle Sachen aus dem Schrank und kramte fünf Minuten darin herum, um etwas einigermaßen Passables zum Anziehen zu finden. Es ist nicht so einfach, auf deine Garderobe zu achten, wenn du daran gewöhnt bist, dir von der Badehose bis zum Smoking alles zu designen.
    Jeans und ein Pulli. Das ging.

    Nachdem ich mich angezogen hatte, inspizierte ich nochmal die Wohnung, schielte auf den Rechner, der die ganze Nacht gelaufen war. Über den Bildschirm kroch langsam die Zeile: Ljonja, die Tiefe wartet!
    Soll sie.
    Okay, meine Versuche aufzuräumen mussten als gescheitert betrachtet werden. Der saubere Fußboden und der aus dem Blickfeld geräumte Kram unterstrichen nur das grundsätzliche Chaos. Egal. So war ich halt. Und wenn Vika nur ab und an mit Hackern zu tun hatte, würde sie das nicht abschrecken.
    Ich schaltete den Rechner aus. Beim Verlassen der Wohnung fiel mir ein, dass ich die Küche von meiner Putzaktion völlig ausgenommen hatte. Aber nein, diese Heldentat ginge nun wirklich über meine Kräfte.
    Rasch schloss ich ab und rief den Fahrstuhl. Der Plastikknopf, der von einer Zigarette angekokelt worden war, hätte mir beinahe den Finger verbrannt, im Fahrstuhl selbst roch es irgendwie verräuchert.
    Die Realität war längst nicht so schön wie die Tiefe , logisch.
    Der Aufzug rumpelte nach unten, die ganzen zehn Stockwerke runter, vorbei an den Nachbarn in diesem Betonkasten, die ich nicht kannte und die ich auch gar nicht kennenlernen wollte. Schließlich konnte ich mir ja fremde Schicksale ausdenken, über inexistente Menschen weinen oder lachen. Und es kostete solche Mühe, echte Menschen kennenzulernen, wenigstens einen Schritt auf sie zuzugehen.
    Vielleicht würde Vika ja gar nicht kommen? Vielleicht hatte sie es sich im letzten Moment überlegt, weil sie das
Gleiche empfand wie ich: Man darf diese beiden Welten nicht vermischen.
    Ich stellte mir vor, wie ich am Flughafen rumstehen würde. Verloren, ein Flüchtling aus der virtuellen Welt, der in der Welt der lebenden Menschen Asyl suchte. Ein käseweißes Gesicht, bequeme Klamotten und rote Augen wie ein Junkie. Und dann käme eine
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