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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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wie Sie hier unsere Mitbürger in Menschen erster und zweiter Klasse aufteilen. Wie Sie große Teile der Bevölkerung zur Manövriermasse degradieren, ex und freeze, rein in die Kühlbox, raus aus der Kühlbox, gerade wie’s paßt. Menschen sind keine Produktionsmittel, auf die man Sonderabschreibungen macht, wenn sie sich nicht mehr rentieren. Aber mittlerweile sieht’s wohl anders aus. Was hier in Gang gesetzt wird, das ist legalisierter Sozial-Darwinismus übelster Sorte. Und über den Zusammenhang zwischen Darwinismus und Faschismus brauche ich Ihnen wohl keine Vorträge zu halten. Diese Kühllager, die Sie planen, sind doch Neuauflagen von ganz anderen Lagern, die wir noch in schrecklicher Erinnerung haben. Arbeit macht frei, nicht wahr? Das ist die alte Übermenschen- und Untermenschen-Denke, neu überarbeitet und herausgegeben von unserer Bundesregierung! Es ist nicht zu fassen!«
    Dr. v. Trostheim: »Diese billige Polemik können Sie sich sparen. Das ist ein Vergleich, den Sie da bringen, der die Grenzen des guten Geschmacks bei weitem überschreitet. Eine umwälzende sozialpolitische Reform in einen Topf zu werfen mit …«
    Köhler: »Ich hör’ immer sozialpolitisch! Daß Sie dieses Wort überhaupt in den Mund nehmen können, ohne rot zu werden, ist ein Witz, über den ich …«
    Dr. v. Trostheim: »Und ob ich das kann. Auch wenn Sie sich noch so aufplustern: Wir leben immer noch in einer sozialen Marktwirtschaft. Hören Sie das? Soziale-Markt-Wirtschaft. Da ist das Soziale wichtig, aber auch der Markt, und auch die Wirtschaft. Wir haben hier eine Lösung gefunden, die alle drei Komponenten ausgewogen vereint.«
    Köhler: »Sie versetzen der Sozialpolitik den finalen Dolchstoß, und faseln dann noch von freier Marktwirtschaft? Was ist denn an dem, was hier abläuft, sozial? Noch haben Sie die Mehrheit nicht, aber ich weiß, Sie werden sie bekommen. Sie bekommen immer Ihre Mehrheiten: Aktienmehrheiten, Kapitalmehrheiten, Stimmenmehrheiten. Wer die Mehrheit hat, bestimmt, und der Rest hat sich zu fügen.«
    Dr. v. Trostheim: »Ganz recht. Und dafür gibt es ein Wort, das Ihnen wohl nicht so geläufig ist. Es heißt Demokratie.«
    Köhler: »Demokratie?!«
    Dr. v. Trostheim: »Ja, Demokratie. Ich darf es Ihnen buchstabieren: D-E-M-O- …«
    Köhler: »Jetzt reicht’s. Jetzt reicht’s!«
    Er wirft sein Stehpult um und stürzt auf Dr. v. Trostheim zu, wird jedoch durch ein aus dem Boden schießendes Airbag-System gestoppt und zu Boden geworfen. Während er sich wieder aufrappelt, betritt der Ringrichter den Ring.
    »Das war ein erbitterter Fight mit einem knallharten Ende«, kommentiert er enthusiastisch. »Und nun, liebe Zuschauer, sind Sie dran. Wen sehen Sie als Sieger in diesem Kampf? Alle Besitzer der neuen dialogfähigen TV-Geräte-Generation können an der Abstimmung teilnehmen. Drücken Sie dazu zunächst die Direct-Response-Taste, danach bitte die …«
    Bild und Ton werden ausgeblendet. Florian Danner, der Moderator von GESCHICHTE LIVE, erscheint wieder auf dem Bildschirm.
     
    Bernd Köhler wurde Punktsieger mit einem Stimmenverhältnis von 70:30. Die Zahl der Befürworter des Einfrierens überschüssiger Arbeitsloser war also zwischenzeitlich leicht gestiegen, war aber mit 30% immer noch stark in der Minderheit. Wie aber sahen die Betroffenen die Situation?
     
    Außenaufnahme. Zwei Männer vor einem Stehausschank in einer Stadtrandsiedlung.
    »Dat könnense doch mit uns nisch machen«, ereifert sich einer der beiden. Im Weitwinkelobjektiv der Fernsehkamera sieht sein Gesicht breit, fett und ein bißchen betrunken aus.
    »Jenau!« stimmt sein Kumpel zu, dessen Kopf im Weitwinkelobjektiv der Fernsehkamera unangenehm deformiert wirkt, zuviel Nase, fliehende Stirn. »Erst kriste keine Aabeit, und dann wirste notjeschlachtet.«
    »Ist das nicht etwas überspitzt formuliert?« Die kultivierte Stimme hinter dem Reportermikrofon verrät eine Spur von Belustigung.
    »Nääää!« meckert der erste Mann. »Wer sacht uns denn, dat se uns je wieder rausholen aus de Jefriertruhe?«
    »Eben«, sagt sein Kumpel und hebt einen Zeigefinger, der im Weitwinkelobjektiv der Fernsehkamera fleischig und widerlich aussieht. »Hörnse auf meine Worte! Irjendwann bietense uns im Suppermarkt an. Jefrierfleisch aus EJe-Beständen. 1a Arbeitslosenkeule. Soweit wirdet kommen und isch find dat eine Riesen …«
    Der Ton blendet aus, die Kamera schwenkt vielsagend über die leeren Flaschen auf der Resopaltheke des
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