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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Tagesschau-Material extrapoliert haben.
    Doch zurück aus unserem Jahr 2027 zur damaligen Ausgangssituation. Wie zu erwarten war, stießen die Pläne der Bundesregierung auf erhebliche Ablehnung. Nur 20% der Bevölkerung stimmten dem Vorhaben zu, und mit jedem Tag wurden die Kontroversen erbitterter, wie das folgende Beispiel einer Fernsehsendung aus jenen Tagen zeigt.
     
    Johlen, Beifall und Anfeuerungsrufe branden auf. Das schweißüberströmte Gesicht eines heftig fightenden Boxers erscheint im Bild. Aggressives Stöhnen und das klatschende Geräusch von Körpertreffern sind zu hören. Der Boxer entblößt grimassierend seinen Mundschutz. Plötzlich schießt seine Rechte nach vorn, direkt auf die Kamera zu. Der Boxhandschuh durchbricht klirrend eine bis dahin unsichtbare Glasscheibe, Splitter fliegen in allen Richtungen, dann friert das Bild in der Bewegung ein. Auf dem Boxhandschuh erkennt man nun die Aufschrift Sparring.
    Schnitt. Man sieht einen Boxring, in dem sich zwei Männer an Stehpulten diagonal gegenüberstehen. Zwischen ihnen steht der Kampfrichter, der soeben sein Mikrofon hebt.
    »Guten Abend, meine Damen und Herren. Hier ist wieder Sparring, die Sendung, bei der mit harten Bandagen gekämpft wird. Das Thema für den heutigen Schlagabtausch lautet Die vereiste Gesellschaft – was bringt uns die Kryotechnik? In den Ring treten: Dr. Tassilo von Trostheim, Vorstandsvorsitzender der neugegründeten HARDSOFT Datentechnik AG, als Befürworter der Kryo-Reform, und Bernd Köhler, Pressesprecher der ebenfalls neugegründeten Umweltschutzpartei USP, als Gegner der Kryo-Reform. Meine Herren, wir erwarten einen harten Fight. Ring frei!« Er klettert durch die Ringseile und verschwindet in der Dunkelheit jenseits des hellbeleuchteten Boxrings. Ein Gong ertönt.
    Köhler: »Wie fühlt man sich als Oberbonze einer Bewegung, die Millionen von Landsleuten kaltmachen will?«
    Dr. v. Trostheim: »Besser als jemand, der mit Terroristen zusammenarbeitet. Aber im Ernst: Was Sie mir da unterjubeln wollen, entbehrt absolut jeder …« Köhler: »Jetzt aber kein Wischiwaschi! Sie wollen doch nicht abstreiten, daß Sie eine Aktion unterstützen, deren Ziel es ist, Millionen von Arbeitslosen auf Halde zu legen? Erst der Kohleberg, dann der Butterberg, und jetzt der Arbeitslosenberg. Da zeigt sich eine menschenverachtende Gesinnung, die einfach zum Kotzen ist. Ich …«
    Dr. v. Trostheim: »Nun lassen Sie aber mal die Kirche im Dorf, mein lieber Herr … äh … Köhler. Ihre Partei hält doch soviel von der Natur. Na prächtig, denn was wir hier machen wollen, ist doch die natürlichste Sache der Welt: der Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Das ist der Selbstregelmechanismus des Marktes, der sich hier eben in einer sehr zeitgemäßen Ausprägung manifestiert.«
    Köhler: »Also entschuldigen Sie mal, es macht doch wohl einen Unterschied, ob ich ein Kilo Überschußbutter einfriere oder Menschen aus Fleisch und Blut. Wie Sie hier in aller Gemütsruhe Hunderttausende von Menschenleben auslöschen, das ist schon …«
    Dr. v. Trostheim: »Von Auslöschen kann keine Rede sein! Dagegen verwahre ich mich auf das schärfste! Wir bringen doch niemand um oder stürzen ihn ins Elend. Im Gegenteil: Wir wollen ihn aus einer deprimierenden Situation erlösen und ihm die Chance geben, sein Leben später unter besseren Voraussetzungen sinnvoller zu verwirklichen.«
    Köhler: »Mir quillt die Träne über soviel Menschenfreundlichkeit! In ein paar Jahren erwachen alle erfrischt aus ihrem Dornröschenschlaf – und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch übermorgen.«
    Dr. v. Trostheim: »Aber so ist es doch! Wir haben zur Zeit ein Problem – nämlich Arbeitslosigkeit – das wir nicht lösen können. Also verschieben wir das ganze mit Hilfe der Kryo-Technik, bis wir es lösen können. Ich kann darin nichts Unrechtes sehen. Im Gegenteil, es ist das Vernünftigste, was wir tun können.«
    Köhler: »Also, solange es Menschenfreunde wie Sie gibt, brauchen wir wirklich keine Feinde. Sie kommen mir vor wie der Professor in der Schwarzwaldklinik, der zu seinem Patienten sagt, ich kann Ihnen im Moment nicht helfen, ich betäub’ Sie erst mal zehn Jahre. Das ist …«
    Dr. v. Trostheim: »Also ich muß doch sehr …«
    Köhler: »Lassen Sie mich ausreden! Was Sie da vorhaben, das ist für Leute wie Sie, die statt eines Gehirns einen Mikrochip im Kopf haben, vielleicht vernünftig. Aber das Krankhafte, das Gräßliche daran ist doch,
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