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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Kristallgitter.«
    »Du redest Dummheiten! Du bist ein Mensch aus Fleisch und Blut.«
    »Wenigstens etwas. Aber das genügt mir nicht. Kann ich die Wirklichkeit nicht besser kennenlernen?«
    »Du hast sie schon gesehen. Erinnerst du dich nicht? Auf diesem Platz.«
    »Das ist nicht dasselbe.«
    »Was erwartest du dann? Übrigens, wenn du unbedingt willst … Bloß, benimm dich vernünftig!«
    »Ich werde mich bemühen.«
    »Schau!«
    Das, was er erblickte, überstieg jede Grenze der Phantasie. Er befand sich auf einer kleinen Plattform, die den durchsichtigen Boden des Saales bildete, in dem er vor einer Weile gewesen war. Rings um ihn, über dem Kopf und unter den Füßen – Hunderte, ja, eher Tausende menschlicher Gestalten bildeten einen riesigen lebensfrohen Ameisenhaufen. In Rosts Nähe ruhten einige Menschen unbeweglich, als hingen sie im Innern durchsichtiger Kokons, und nur die Bewegungen ihrer Hände und die konzentrierten Gesichter wiesen darauf hin, daß sie mit irgendwelchen komplizierten, ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nehmenden Tätigkeiten beschäftigt waren.
    Knapp daneben, höher und tiefer, liefen in verschiedenen Richtungen in atemberaubendem Tempo wie auf schnellaufenden Gehsteigen, Menschenströme – Männer und Frauen, alle jung und schön. Tiefer unten, auf den niedrigeren Stockwerken dieses durchsichtigen Turms zu Babel – riesige Menschenmengen. Hunderte Menschen, die hin und her eilten, aneinander vorbeieilten, ohne aneinander anzustoßen oder in ihren Bewegungen zu schwanken. Jeder einzelne strebte einem unbekannten Ziel zu und schien die an ihm vorbeigehenden Menschen nicht zu sehen, als sei er völlig mit sich selbst oder den ihn begleitenden Personen beschäftigt. Stellenweise, wo die Menschenmenge nicht so dicht war, konnte man einzelne, mehrere Personen umfassende Gruppen bemerken. Meist hielten sie einander an den Händen und vollführten bizarre Bewegungen oder gymnastische Schwünge, in denen man vergeblich einen Sinn suchte.
    Plötzlich sah er knapp vor sich eine Frau. Ja, es war mit Sicherheit eine Frau. Groß, wohlgeformt, mit langen, rechts und links hochgesteckten Haaren. Ihr Körper war mit einem Staub bedeckt, der die Skulpturhaftigkeit ihrer Formen betonte. Sie kam mit leichtem, tänzerischem Schritt auf ihn zu, allerdings irgendwie von einem Punkt gebannt, der höher lag als sein Kopf. Plötzlich blieb sie vor ihm stehen. Ihr Blick streifte die Gestalt Rosts, bis er auf seinem Gesicht zum Ruhen kam. Seine Anwesenheit schien sie zu verwundern. Sie streckte die Hand aus und berührte mit den Fingerspitzen seine Hand. Er fühlte, wie das Herz in seiner Brust zu rasen begann.
    Sie verharrten so einen Augenblick lang unbeweglich, dann lächelte ihm die Frau zu und ging weiter in Richtung der Kokons. Er wollte ihr nachlaufen, doch im gleichen Augenblick wurden sie von einer weißen, matten Wand getrennt. Wieder befand er sich in einem kleinen niedrigen Saal, der mit hervorstehenden Stäben gefüllt war.
    »Das genügt wohl«, sagte die Stimme Helias.
    Er schloß die Lider und erblickte wieder den Garten.
    »Was war das?« Er fragte es, noch von der Fülle der Eindrücke betäubt.
    »Das, was du wolltest. Das ist die Wirklichkeit.«
    »Ich komme zu euch!« sagte er mit plötzlicher Entschlossenheit. »Das wird am besten sein.«
    Er öffnete die Augen. Schleunigst ging er dort durch die Wand, wo er vor einem Augenblick Helia und Mia gesehen hatte. Er befand sich in einem langgestreckten Saal, doch beachtete er jetzt die Umgebung nicht. Wieder schloß er die Augen, prüfte die Richtung und beschleunigte den Schritt.
    Er war von einem einzigen Gedanken besessen: Auf schnellstem Weg diesen Garten zu erreichen, Helia, Mia und die unbekannten Gastgeber der Erde zu treffen. Ihm schien es, als habe jede Minute Verzögerung den Verlust einer großen Chance zur Folge, und daß das Bild in den Nebeln versinken und er es nie mehr finden würde.
    Waren diese beiden Gestalten wirklich Helia und Mia und nicht ihre Phantome, die er in seinem Kopf gesehen hatte? Warum hatte sie sich so sonderbar benommen? Gingen die psychischen Umwandlungen so weit?
    Die Fragen vervielfachten sich, wuchsen zu einer ungeheuerlichen Pyramide an. Welches Schicksal erwartete sie? Wenn das, was er gesehen hatte, die Wahrheit war, wenn Helia und Mia recht hatten, daß diese sonderbaren Wesen die menschlichen Beherrscher der Erde waren – ließ sich eine Verbindungsbrücke zwischen zwei so weit auseinanderliegenden
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