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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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…«
    »Da kann ich gern mit einem Beispiel dienen. Wer heute 10.000 Mark bei einem Zinssatz von, kalkulieren wir mal vorsichtig, 6% anlegt, hat nach 30 Jahren einen Betrag von 57.435 Mark zur Verfügung. Man kann also sein Kapital in etwas mehr als 30 Jahren versechsfachen.«
    »Na das ist ein Wort! Tja, liebe Zuschauer«, wendet sich Thalmeier wieder direkt zur Kamera, »der Kryo-Schlaf scheint tatsächlich der absolut risikolose Weg zu sein, um gesund, reich und erfolgreich zu werden. Denken Sie einmal darüber nach, vielleicht sehen Sie jetzt manches in einem neuen Licht.«
    Thalmeier verabschiedet seine beiden Gäste mit einem donnernden Applaus und dem großen KUNTERBUNT-Tusch. Dann schlängt er unternehmungslustig die Hände zusammen.
    »So, und nun wenden wir uns wieder unseren Quiz-Kandidaten zu – ah, da sind Sie ja schon. Bitte beantworten Sie mir jetzt folgende Frage: Wie heißt der französische Ministerpräsident:
    Jean Cocteau …
    Jean-Marie le Pen …
    oder Jean-Paul Belmondo?«
    Bild und Ton werden ausgeblendet.
     
    Offensichtlich traf diese Sendung die Zuschauer mitten ins Herz. Sie stellte ihnen die Erfüllung der zwei größten Wünsche des Menschen in Aussicht: Geld und Gesundheit. Binnen drei Tagen stieg die Zustimmung zum Kryo-Projekt auf erstaunliche 63% an.
    Nachdem somit klare Mehrheitsverhältnisse geschaffen worden waren, ging es unverzüglich an die Realisierung des Projekts. Obwohl das sogenannte kryotechnische Ordnungsgesetz (KOGes) noch nicht offiziell vom Bundestag verabschiedet war, wurde zur Beschleunigung des Verfahrens bereits mit den Bauarbeiten begonnen. Überall im Bundesgebiet wurden Arbeitslosen-Entsorgungslager – kurz: AEL – aus dem Boden gestampft. Diese etwas schwerfällig bürokratische Bezeichnung war kurzfristig festgelegt worden, nachdem der ursprünglich vorgesehene Projektname »Kryo-Zentrum« in der Öffentlichkeit schnell durch die Abkürzung KZ ersetzt wurde, was zu einigen polemischen Auseinandersetzungen führte, die aber schnell wieder einschliefen.
    Werfen wir nun einen Blick auf eine dieser Einrichtungen, das Arbeitslosen-Entsorgungslager Süd III in München-Großlappen.
     
    Außenaufnahme. Schwere Caterpillar-Maschinen dröhnen über das verschlammte Gelände. Baustellen-Trucks fahren über eine breite Rampe in das unterirdische Gewölbesystem des Lagers. Ein Kameraschwenk zeigt die enorme Ausdehnung des Geländes. Im Hintergrund erhebt sich ein regelmäßig geformter grüner Hügel.
    Reporter: »Wir stehen hier im Norden Münchens, zu Füßen des Müllbergs, den die Einheimischen auch liebevoll ›Monte Scherbelino‹ oder ›Giftkogel‹ nennen.« Er wendet sich zur Seite. Die Kamera zeigt nun auch seinen Gesprächspartner. »Herr Kustermann, Sie sind der Bauleiter dieses Großprojekts. Wann werden die Arbeiten hier beendet sein?«
    Kustermann: »Wir rechnen damit, daß in 5 Monaten alles fix und fertig sein wird. Die Einfrieraktion kann also termingerecht beginnen.«
    Reporter: »Na das klappt ja bestens. Erstaunlich, wenn man bedenkt, wie kurzfristig dieses Großprojekt realisiert wird.«
    Kustermann: »Ja, das Ausmaß der Erdbewegungen übertrifft noch das beim Bau des Olympiastadions.«
    Reporter: »Was geschieht mit dem Aushub? Wie ich sehe, ist er noch nicht abtransportiert.«
    Kustermann: »Der bleibt auch hier. Daraus modellieren wir eine Hügellandschaft. Wenn das alles fertig ist, ist das hier eines der schönsten Erholungsgelände, die Sie sich vorstellen können!«
    Reporter: »Wieso Erholungsgelände? Ich meine, die Kälteschläfer haben doch nichts davon, wie das hier aussieht.«
    Kustermann: »Aber die Angehörigen! Die können hier ihre eingefrorenen Verwandten anschauen und dann gleich ein Picknick im Gelände machen. Ideal für einen Familienausflug, bei dem man das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden kann.«
    Reporter (deutet auf den Giftkogel): »Manche finden es taktlos, das AEL direkt neben der Mülldeponie zu bauen … Wie stehen Sie dazu?«
    Kustermann: »Wenn das Know-how und die Infrastruktur schon da sind, ist es doch vernünftig – und kostengünstig! – die beiden Entsorgungsprojekte zusammenzulegen. Ich verstehe da die ganze Aufregung nicht. Der Bürger soll doch froh sein, wenn man rationell mit seinen Steuergeldern umgeht.«
     
    Dann rückte die Entscheidung im Parlament immer näher. Das Ergebnis stand bereits fest, denn die Zustimmung der Bevölkerung hatte sich inzwischen bei 70% eingependelt. Der
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