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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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folgende Ausschnitt aus einer Talk-Show gibt noch einmal einen repräsentativen Überblick über das Pro und Kontra, wie es sich quasi am Vorabend der entscheidenden Bundestagssitzung darstellte.
     
    Im Bild erscheint der Moderator Peter Kratochvil. »Guten Abend«, sagt er mit seinem charmanten österreichischen Akzent, »und willkommen bei TOPIC, der aktuellen Talk-Sendung der AEMD. Unser heutiges Thema lautet: Die neue Eiszeit. Es geht, natürlich, um die Kryo-Reform, die am Montag kommender Woche, daran besteht wohl kein Zweifel, im Bundestag verabschiedet wird. Unsere Diskussion wird dieses Thema noch einmal von allen Seiten beleuchten. Unsere Diskussionsteilnehmer sind: Dr. Wilfried Schröder-Lichtenberg, Ministerialdirigent im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung … Fritz Bauer, Arbeitsloser seit drei Jahren … Patrick Paulsen, Fernsehjournalist und treibende Kraft beim TV-Magazin STOCHER, den skandalumwitterten Spezialisten für schmutzige Wäsche und dunkle Kanäle« – so jedenfalls lautet die Selbstdarstellung – »ferner Jens-Peter Lehmann, seines Zeichens Kryo-Soziologe an der Universität Mainz … und schließlich Heinz Wittek, Gründer und Alleingeschäftsführer der Wittek GmbH, Feinmechanische Werke in Staufingen … Herr Dr. Schröder-Lichtenberg, Sie sind für den organisatorischen Ablauf der Maßnahmen im Rahmen der Kryo-Reform verantwortlich. Sind Sie auf den Tag X vorbereitet? Wie wird der Ablauf sein? Man hat darüber bis jetzt wenig Konkretes gehört.«
    Dr. Schröder-Lichtenberg: »Wir sind bestens auf den Tag X vorbereitet. Die Standorte des AELs sind festgelegt und die Bauarbeiten voll im Gange. Insgesamt wird es 25 Endlagerstätten für chronisch Nicht-Vermittelbare geben, in Kiel, Stade, Bremerhaven …«
    Paulsen: »… Dachau, Bergen-Belsen …«
    Kratochvil: »Herr Paulsen, bitte!«
    Dr. Schröder-Lichtenberg: »Äh … also wie gesagt, 25 AELs. Was die Abwicklung betrifft, schätzen wir, daß wir das Kühlgut binnen drei Wochen …«
    Paulsen: »Ich hör wohl nicht recht … ›Kühlgut‹! Dieser Beamten-Jargon ist …«
    Dr. Schröder-Lichtenberg: »Ich verbitte mir das Wort Jargon!«
    Wittek: »Streiten wir uns doch nicht um Worte. Hier geht’s doch vor allem um Fakten, und da muß ich sagen, diese Kryo-Reform ist das beste, was der Staat sich in diesem Jahrhundert hat einfallen lassen.«
    Paulsen: »Na, das erklären Sie mir aber mal näher. Pathologische Denkvorgänge interessieren mich rasend.«
    Wittek: »Das Vergnügen mache ich Ihnen gerne. Wissen Sie, was mich an diesem Land so gestört hat? Das Parasitentum, das um sich greift. Das unbegründete Anspruchsdenken. Keiner will was tun, aber jeder glaubt, ihm steht was zu – hier ’ne Beihilfe, da ’ne Unterstützung, dort ’ne Absicherung. Aber bloß keinen Finger dafür krumm machen! Nur: Wer schafft das ganze Geld bei, das da so locker verteilt wird? Eine kleine Minderheit von Unternehmern und Freiberuflern, Leute mit Ideen und Tatkraft, die dafür noch als Ausbeuter beschimpft werden. Wer beutet denn hier wen aus? Wir arbeiten uns in 16-Stunden-Tagen den Rücken bucklig, und der Rest schaut zu und hält dann die Hand auf. Da kann mir doch keiner einreden, daß das eine gesunde Entwicklung ist. Die Kryo-Reform hat da einiges ins rechte Lot gerückt und die soziale Gerechtigkeit wiederhergestellt.«
    Paulsen: »Daß man in dieser Sache mit dem Wort ›sozial‹ immer so schnell bei der Hand ist, ist wirklich grotesk. Mich erinnert das alles ans Hochseefischen: Da wird das Soziale Netz ausgeworfen, um damit kleine Fische einzufangen und gleich im Kühlschiff zu verarbeiten.«
    Dr. Schröder-Lichtenberg: »Lachhaft! Wer die arbeitsmarktpolitische Bedeutung der Kryo-Reform auf so hanebüchene Weise verunglimpft, disqualifiziert sich doch selbst.«
    Paulsen: »Schwafeln Sie doch nicht so geschwollen daher! Die arbeitsmarktpolitische Bedeutung der Kryo-Reform. Klingt wie eine kleine, saubere Operation. Ein Bauernopfer eben, nicht weiter wichtig.«
    Bauer: »Also wenn ich dazu auch mal …«
    Wittek: »Mein lieber Herr Paulsen, ich weiß gar nicht, worüber Sie sich so aufregen. Ich sehe das alles positiv. Was glauben Sie, wie fleißig meine Arbeiter geworden sind. Die Jungs sind richtig aufgetaut, wenn’s um die Arbeit geht. Die Effektivität und Rentabilität sind bereits jetzt drastisch gestiegen.«
    Paulsen: »Na prima! Darauf kommt’s ja an.«
    Wittek: »Was soll die Ironie? So ist es doch: Wenn es der
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