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Kurzes Buch ueber das Sterben

Kurzes Buch ueber das Sterben

Titel: Kurzes Buch ueber das Sterben
Autoren: Andrzej Stasiuk
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Licht. An heiteren Nachmittagen schoss quer durch die Dunkelheit des Speichers ein schmaler Strahl, in dem Staubteilchen wirbelten. Ich huschte durch das Dunkel, zerbröselte einen Moment lang den leuchtenden Streifen und lief hinaus – jedes Mal von derselben Angst begleitet. Erst in der Sonne des Hofes atmete ich wieder normal.
    Durch das Fenster sah ich schemenhaft die Gestalt meiner Großmutter, die zwischen Tisch und Herd hin- und herging und das Mittagessen zubereitete. Bei jedem Schritt knarrte der braun angestrichene Fußboden, sie war allein in dem leeren Haus und nahm ganz selbstverständlich aus der heimgesuchten Kredenz Gewürze, Gefäße, Löffel und Gabeln, die der Geist verschmäht hatte.
    Später, als sie schon gestorben war, stellte ichmir oft den Tod vor. Das unwillkürliche Bild war immer das gleiche: eine alte Frau mit gutmütigem und ein wenig spöttischem Gesicht, dem Gesicht meiner Großmutter.

Augustyn
    E s waren seine Augen, aber er sah uns nicht. Er schaute uns an, aber das waren nicht wir.
    Als wir kamen, lag er auf der Seite, zusammengerollt. Es war früher Nachmittag, doch im Saal herrschte Halbdunkel. Nach einer Weile spürte er unsere Anwesenheit und setzte sich langsam im Bett auf. Das Schlimmste war der reglose Blick. Es war, als schaute er durch uns hindurch. Ich hatte Angst. Manchmal blicken wir in die Augen eines Hundes und nehmen plötzlich das Nichts wahr. So ähnlich war es. Krankenhausgeruch, Stimmengewirr auf dem Flur und die Angst, dass all das doch nach Tod aussieht.
    Wir wiederholten ständig unsere Namen, dann seinen, dann wieder unsere und wieder seinen, weil uns nichts Besseres einfiel. Und in einem fort: »Erinnerst du dich? Weißt du noch?« Aber er gab keinerlei Zeichen. Wir sahen ihn zum ersten Mal ohne Brille – daher vielleicht das Gefühl des Nichts und die Angst. Manchmal versuchte er zu lächeln, eine flüchtige, entschuldigende Grimasse. Daran wollten wir glauben, denn es war immerhin eine leiseHoffnung, dass noch nicht alles kaputt, noch nicht alle Drähte durchgebrannt waren.
    Unser Besuch dauerte nicht mehr als zwanzig Minuten. Beim Abschied fassten wir ihn ganz vorsichtig an, wie einen Säugling.
    Ich weiß nicht mehr, wer uns am Telefon sagte: »Das wisst ihr nicht? Augustyn hatte Ostern einen Schlaganfall.«
    Es ist in seinem Zimmer passiert, am Abend oder in der Nacht, und bis zum Morgen hat es keiner der Hausbewohner bemerkt. Angeblich kommt es bei einem Schlaganfall auf die erste Viertelstunde, die erste Stunde an. Wenn relativ schnell Hilfe kommt, sind die Chancen größer. Aber Augustyn hat die ganze Nacht in seinem Zimmer gelegen. Ich konnte es mir vorstellen. Wir sind mehrmals in diesem Eckzimmer gewesen, in dem Haus aus rotem Backstein. Vor dem Fenster machte die asphaltierte Straße einen Schnörkel. Auf der anderen Seite, hinten, befand sich ein steiler Abhang. Das Haus war zwischen Straße und Berg gezwängt.
    Wie oft sind wir dort gewesen? Fünf, sechs, sieben Mal? Nach dem zweiten oder dritten Malservierte Guścio uns Huhn: das Fleisch mit Soße und Salzkartoffeln vermischt und saure Gurken. Bestimmt war es an einem Sonntag. Der Geschmack von ganz einfachem Essen, ein Geschmack, der dich das ganze Leben lang verfolgt. Guścios Mutter brachte das Essen ins Eckzimmer und verschwand gleich wieder. Alle seine Bücher, alle Erzählungen spielen in diesem Eckzimmer. Das heißt, alles, was er geschrieben hat, geht von diesem Ort aus. Als hätte er dort Platz nehmen müssen, um sich in einen Schriftsteller zu verwandeln.
    Fünf, sechs, sieben Begegnungen im Leben. Hinterher ist es immer zu wenig. Hinterher merkt man, dass man sich öfter hätte sehen sollen. Sein Blick damals im Krankenhaus in Rzeszów, sein zusammengerollter Körper auf dem Bett, seine Reglosigkeit zeugten davon, dass man mit dem Überleben Entsetzen auslösen kann. Ich glaube, wir waren erleichtert, als wir gehen konnten; wir flüchteten, um während der ganzen Heimfahrt ein hilfloses Gespräch zu führen, um darüber zu spekulieren, ob das noch Augustyn war und ob wir für ihn noch das waren, was wir früher einmal für ihn gewesen sind. Aber es sah eher nicht danach aus.
    Nach einer Woche oder zwei kamen wir wieder. Ich glaube, er saß auf dem Bett. Zeit war vergangen, also suchten wir nach einer Veränderung. In seinem Gesicht, in seinem Blick, in jeder Geste hielten wir nach einer Veränderung Ausschau. Seine rechte Hand war gelähmt. Sie lag unbewegt auf dem Schenkel. Von
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