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Kurzes Buch ueber das Sterben

Kurzes Buch ueber das Sterben

Titel: Kurzes Buch ueber das Sterben
Autoren: Andrzej Stasiuk
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gezackter Linie vom Himmel abhoben. Ich fragte ihn erst gar nicht, ob er auch fahren wolle. Nach dem roten Escort hatte er einen schlanken Capri gehabt. Er war grün gewesen und uralt, aber bei seinem Anblick wurde mir immer warm ums Herz. Ein armer Verwandter des Mustangs. Er hatte ihn mit einem V6 gekauft, der ihm bald um die Ohren flog, also baute er einen einfachen Reihenvierzylinder ein, wahrscheinlich einen 1600-er. Der Capri hatte jetzt eine Beschleunigung wie der polnische Fiat vor dreißig Jahren, aber immerhin verbrauchte er keine fünfzehn Liter. Man saß tief, und die Motorhaube war lang wie das Deck eines Tankers. Er bastelte endlos an ihm herum. Traurig schaute er zu, wie die Korrosion auf die Schwellen kroch und die unteren Ränder der Türen erfasste. Er putzte, schliff, besserte aus. Das Innere war bescheiden und abgenutzt. Die Polsterung schon lange verblasst, unter den Resten der Gummibeschläge an den Pedalen blitzte das glatte Metall durch. Doch nie zuvorund nie danach hat er ein so schönes Auto gehabt. Ich auch nicht. Er döste also hin und wieder, und ich entschied, dass wir nur nach Krasiczyn fahren, zum Essen, und dann wieder zurück. Das Schloss war weiß, wie aus Puderzucker. Man konnte kaum hinschauen in der Sommersonne. Aber im Park war es schattig, und vom Teich kam schwüle, feuchte Luft. Die Perle der Renaissance. Eine Spitzenattika, ein Sgraffito, wie ein verrückter Scherenschnitt, auf dieses Weiß geklebt. Alles neu, wie geschleckt, aufgemotzt, besser als das Original, so blendend, dass die Augen tränten. Wir betraten den Hof, da konnte man nur auf die Knie fallen. Zum ersten Mal war ich 1975 hier gewesen. Auf der nackten Erde hatte Schutt gelegen, Sandhaufen türmten sich, aus der Küche im Parterre wehte der Geruch von Gebratenem und hielt sich den ganzen Nachmittag im Geviert des Hofes. Das Schloss hatte zu der Fabrik unserer Väter gehört, man schickte uns hierher in Ferien. In den nackten Zimmern standen Eisenbetten. Im Flur war ein einziges, ewig verschissenes Bad. Gleich hinter dem Zaun des Parks floss der San. Wir lagen tagelang auf den heißen Steinen. Am Abend huschten wir in den Dorfladen undkauften Obstwein. Als es dunkel war, tranken wir bis zur Bewusstlosigkeit. Wie echte Kinder des Proletariats. In einem heruntergekommenen Magnatenschloss. In den Ecken des englischen Parks kotzten wir. Aber ihn kannte ich damals noch nicht. Jetzt saßen wir in dem leeren, nichtssagenden Schlossrestaurant. Er aß langsam, mit einer Hand, leicht zur Seite geneigt. Ich redete. Erzählte alte Geschichten. Aus der Zeit vor unserer Bekanntschaft, ich wunderte mich selbst ein bisschen, dass es die überhaupt gab. Er kniff die Augen zusammen und schluckte langsam. Schwer zu sagen, ob es angenehm oder anstrengend für ihn war. Ich erzählte von den Ferien 1975. Im Herbst sollte ich in die Fabrikschule gehen und ihn kennenlernen, als er in seiner Cordjacke an der Tür stand. Noch im selben Jahr zeigten sie uns in der Schule, die einen eigenen Kinosaal besaß, The Panic in Needle Park von Jerry Schatzberg mit dem jungen Al Pacino. Sie taten es sicher aus didaktischen Gründen. Doch wir waren neidisch auf die Junkies, weil sie in New York fixten. Der ausgemergelte und ewig frierende Al Pacino trieb sich zwischen der Park Avenue und dem Broadway herum. Dort schlug das Herz der Welt. Ich glaube, wir wollten damals Junkies in Manhattan sein. Beinahe wären wir Junkies in Grochów geworden. Am Abend gingen wir in sein Zimmer. Es war Teil eines größeren Raums, durch eine schalldichte Platte abgetrennt. So eine, wie es sie früher in Rundfunkstudios gab. In dem Zimmer war eine Matratze, ein Schränkchen, ein Plattenspieler und Platten. Ich habe keine Ahnung, woher er damals Highway 61 hatte. Ein dunkelblaues, glänzendes Cover. Seine Eltern sahen fern hinter der Wand. Sie waren in Ordnung, machten nie dumme Bemerkungen. Auch nicht, wenn wir gegen Morgen heimkamen. Wir schlichen uns zur Matratze und schliefen in Kleidern ein. Manchmal, wenn es noch nicht so spät war, spielte er. An seine erste Gitarre kann ich mich nicht erinnern. Wir redeten ständig von einer Ibanez oder Martin, aber sicher hatte er eine polnische, danach vielleicht diese russische und später eine tschechische Cremona. Durch die Glastür und die Pappwand hörte man den Fernseher, und er sang Tomorrow Is a Long Time . Sonntagvormittags machte er Rührei. Wir aßen und schauten aus dem Fenster. Die Häuser aus grauen
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