Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
Autoren: Petra Hulova
Vom Netzwerk:
unsere Familie am häufigsten aufsuchte, war von unserem Ger ungefähr drei Stunden Pferderitt in Richtung der Westgrenzen unseres Aimak entfernt. Ein kleiner Haufen ungeschlachter polierter Steine am Fuß eines Berges mit Frauenprofil, den man Borooni Uul nannte. Sonnige Tage konnte man dort wirklich an einem Pferdehuf abzählen, der
ganze Berg war dauernd in eine Regenwolke gehüllt, aus der das Wasser in einem fort wie in Schnüren rann.
    Am häufigsten ritten wir hin, um zu beten, wenn Dürre herrschte und die Herden an den Staubwolken kilometerweit zu erkennen waren. Wenn der Fluss zu feuchtem Morast versiegte, mit ein paar vereinzelten kleinen Tümpeln, in denen das Vieh sich täglich Kämpfe ums Wasser lieferte. Die Jungtiere und das alte Vieh konnten diese Kämpfe nie gewinnen, und so glotzten sie nur stumpf, bevor ihnen die Knie einknickten und die Hinterteile sie schließlich zu Boden zogen.
    Zu diesem Owoo also brachen Mama und Papa eines Tages zusammen mit uns Übrigen auf. Über unseren Köpfen kreisten Geier, begierig, ihre langen, kahlen rosa Hälse in die nassen blutigen Eingeweide von Kadavern zu tauchen, und Mama und Papa hetzten ihre Pferde so lange, bis sich am Horizont in der flimmernden Luft das weibliche Profil des Borooni Uul mit den an seinem Abhang flatternden blauen Chadag herausschälte. Unser Owoo war mit verschiedenen Dingen bedeckt, und der ganze mehrere Stunden dauernde Gebetsausflug war für uns Kinder erfüllt von der aufgeregten Neugier auf die Sachen, die in der Zeit, in der wir nicht dort gewesen waren, jemand unserem Steinmal geschenkt hatte. Die flackernden blauen Tücher waren von weitem zu sehen und auch ein paar an die umliegenden Bäume gebundene weiße und gelbe. Tücher mitzubringen war üblich, auch wir hatten immer welche mit und banden sie fest, aber zwischen die Steine des Owoo und darauf gelegt waren auch alte Reifen, Bierflaschen von Leuten aus der Stadt, rote Blechdosen mit gelben Ornamenten, Stücke alten Drahts und weitere gute Dinge, die man nicht wegnehmen durfte. Wir umrundeten den Owoo dreimal in der richtigen Richtung, zerrissene bunte Chadag
umwehten uns, und zwischen den Baumstümpfen pfiff der Wind. Mit eingelernten Formeln beteten wir für Regen.
    Am liebsten war einst Großmutter zum Owoo geritten. Sie legte immer einen mit silbernen Fäden durchwebten Deel an, mit einem ähnlich seltsamen westlichen Verschluss, wie ihn Mama bei Papa nicht mochte, frisierte sich und löste dabei ihren dünnen langen angegrauten Zopf und flocht ihn wieder zu einem mageren Anhängsel. Sie steckte sich ein paar Chadag in den Ärmel und drückte jedem ihrer Enkelkinder einige Bonbons in die Hand, die wir dann unter ihrer Aufsicht auf den Owoo legen mussten.
    Ich denke, wir ritten wahrscheinlich ihretwegen so oft dorthin. Papa und Mama beteten auch gerne, aber so ernst wie Großmutter, die schon nach ein paar Wochen Dürre zum Owoo wollte, war es ihnen nicht mit dem Beten. So ritten wir, nachdem Dolgorma gestorben war, immer weniger und weniger hin, und ich glaube, Ojuna hat viel versäumt, weil sie nicht oft in den Genuss unserer Ausflüge zum Beten und zu den neuen interessanten Dingen, die die Leute zum Owoo mitbrachten, gekommen ist.
    Wie in jeder ordentlichen Familie, stand auch bei uns gegenüber dem Eingang ins Ger ein hölzernes Tischchen mit Statuetten, vorwiegend verschieden großen Burchanfiguren, aber auch anderen. Ringsherum waren Fotografien von uns aufgestellt, als wir noch klein waren, und auch welche von Mama als siebzehnjähriger Schönheit und Papa als jungem Grenzsoldaten mit Gewehr.
    Am meisten von uns allen kniete Großmutter vor den Statuen. Sie hatte dann den Kopf gesenkt und sprach mit sich selbst. Papa und Mama waren anders. Wenn jedoch Großmutter betete, war sie sehr sonderbar. In diesen Momenten
spürte ich, dass sie eine mächtige Zauberin war. Ich überlegte auch, ob ihre letzten krampfhaften Schritte damals, als sie starb, nicht genau auf unseren Owoo gerichtet waren. Der Ort, an dem wir sie fanden, hätte darauf hingedeutet, nach den vielen Jahren konnte ich mich dann aber nicht mehr erinnern, ob sie damals dieses silbrig durchwirkte Gewand anhatte oder nicht. Dann wäre es eindeutig gewesen. Im alten verblichenen Hausdeel hätte Großmutter nie eine solche Pilgerreise angetreten, dafür bürge ich.

    Mama hatte ich davon, wie Papa damals nach Sonnenuntergang verstummte und mich so seltsam musterte, nichts gesagt, aber ich vertraute es Nara
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher