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Kurschattenerbe

Kurschattenerbe

Titel: Kurschattenerbe
Autoren: Sigrid Neureiter
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Während er die Darstellung eingehender betrachtet hatte, hatte Maurice dem Maler ein Angebot gemacht. Doch der hatte abgelehnt. Er habe einen Käufer, der das Bild am nächsten Abend holen komme.
    »Warum haben Sie es uns überhaupt gezeigt?«, hatte Maurice zu wissen begehrt. Arthur hatte den ärgerlichen Ton in der Stimme seines Kollegen bemerkt.
    »Weil ich sicher gehen wollte, dass alles in Ordnung ist. Ihr seid’s Experten. Wenn Ihr meint’s, dass das der Oswald von Wolkenstein ist, verlass ich mich darauf.«
    Jenny konnte nicht an sich halten. »Ist dir das nicht seltsam vorgekommen? Für mich klingt Mitterers Erklärung nicht plausibel.«
    Arthur schüttelte den Kopf. »Ich hatte zu dem Zeitpunkt keinen Verdacht. Erst später ist mir klar geworden, dass etwas an dem Bild nicht stimmte.«
    »Was war das?« Jenny kam Lenz mit ihrer Frage zuvor.
    »Das falsche Auge war geschlossen. Auf den Porträts, die von Oswald überliefert sind, ist das rechte Auge geschlossen. Auf dem Bild, das ich bei Peter Mitterer gesehen habe, war es das linke.«
    Lenz erinnerte sich erneut an den Streit der beiden Mädchen. Sascha, die das Bild vom Medaillon ihrer Mutter kannte, hatte darauf bestanden, dass das rechte Auge zu sei. Kristl dagegen war überzeugt davon, dass es das linke Auge sei.
    »Demnach hat es sich nicht um das Bild gehandelt, das Katerynas Urgroßmutter in Meran zurückgelassen hat«, stellte Lenz fest.
    »Es muss eine Kopie gewesen sein. Ich vermute, dass Mitterer testen wollte, ob wir den Fehler bemerken. Wie er zu dem Bild gekommen ist und wo sich das Original befindet …«
    Eine Krankenschwester betrat das Zimmer. Lenz konnte ihr ansehen, dass sie über seine und Jennys Anwesenheit nicht erfreut war.
    »Der Herr Professor braucht Ruhe«, sagte sie streng. Jenny war aufgesprungen und machte Anstalten zu protestieren. Lenz hielt es für besser, der Aufforderung zu folgen. Arthur wirkte erschöpft. Sachte schob er Jenny aus dem Zimmer.

FREITAG

EINUNDZWANZIG
    Jenny befand sich in ihrem Hotelzimmer und packte den Koffer. Sie war heute Morgen aus dem Krankenhaus entlassen worden. Am Weg hinaus begegnete sie Tobias Winkler. Er kam von Viola. Sie hatte den Mordversuch dank Jennys Einschreiten überlebt.
    »Viola und Maurice hatten ein heimliches Verhältnis«, berichtete er Jenny ohne Umschweife. »Er überredete Viola, ihm die Geige zu überlassen. Es sei zu ihrem Besten, wenn sie einen plausiblen Grund habe, nicht am Wettbewerb teilnehmen zu müssen. Viola willigte ein und spielte uns gegenüber die Ahnungslose. Zufällig überraschte sie Maurice im Hotel beim Packen. Sie wurde misstrauisch, doch er beschwichtigte sie und überredete sie, mit ihm zu kommen. Er habe etwas Wichtiges zu erledigen und sie könne ihm dabei helfen.«
    Jenny wunderte sich. Wie hatte die durchtriebene Viola so naiv sein können?
    »Sie war davon überzeugt, dass Maurice sie liebte, und ist gar nicht auf die Idee gekommen, dass er ihr etwas antun könnte«, antwortete Tobias.
    Jenny hatte es dabei bewenden lassen. Wie dumm von ihr, dass sie auf Viola eifersüchtig gewesen war. In Wirklichkeit hatte sich die Musikerin überhaupt nicht für Lenz interessiert. Ihr Betragen war nur Show gewesen.
    Jennys Blick fiel auf die Zeitung. Beppos Artikel über Maurice’ Tod prangte auf der Titelseite. Unter der Überschrift ›Nach Redaktionsschluss‹ hatte er hinzugefügt:
    Die Polizei hat ein Schreiben Peter Mitterers gefunden. Daraus geht hervor, dass er das Bild seines Urgroßonkels vor Jahren auf dem Schwarzmarkt verkauft und eine Kopie angefertigt hat. »Wir können davon ausgehen, dass es sich bei dem zerstörten Bild nicht um das Original handelt«, erklärte Vizequästorin Franca Bertagnoll.
    Damit war Arthurs Vermutung bestätigt. Ob die Polizei versuchen würde, das originale Bild zu finden? Jenny wusste es nicht. Kateryna jedenfalls hatte ihr heute eröffnet, dass sie nichts weiter unternehmen wollte.
    »Ich lasse die Vergangenheit ruhen«, verkündete sie bei dem gemeinsamen Mittagessen, zu dem sie Jenny eingeladen hatte. Obwohl Kateryna von den Ereignissen betroffen schien, ging eine Art inneres Strahlen von ihr aus. Beim Abschied vertraute sie Jenny an: »Tony und ich werden heiraten. Ich erwarte ein Kind von ihm.«
    »Was sagt Sascha dazu?« Jenny konnte sich nicht vorstellen, dass das eigenwillige Mädchen damit einverstanden war. Kateryna zerstreute ihre Bedenken. »Tony und Sascha haben sich ausgesöhnt und sie freut sich auf
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