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Kurschattenerbe

Kurschattenerbe

Titel: Kurschattenerbe
Autoren: Sigrid Neureiter
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Keiner hätte je eine Verbindung zu mir hergestellt.«
    Wenn er sich da nur nicht täuschte, dachte Jenny, vermied es allerdings, ihre Zweifel auszusprechen. Sie fragte sich, wie Maurice so sicher hatte sein können, dass niemand die Scheune betreten würde.
    »Bei der Scheune ist mir der Zufall zu Hilfe gekommen. Sie war bis auf ein wenig Stroh leer, es war offensichtlich, dass sie nicht benutzt wurde. Da konnte ich ziemlich sicher sein, dass sie in den nächsten Tagen niemand betreten würde.«
    »Und wenn doch?« Jenny hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Doch Maurice schien den Regelverstoß nicht bemerkt zu haben.
    »Ein Restrisiko ist immer dabei. Für den Fall habe ich die Flucht in die Berge und über die Grenze in die Schweiz vorbereitet. Dort wartet ein falscher Pass auf mich und damit geht es ab nach Südamerika.« Maurice blickte Jenny an, seine Augen funkelten. »Das alles hätte ich mir sparen können, wenn Sie nicht gewesen wären, Jennifer.«
    Jenny wollte protestieren, doch Maurice ließ sie nicht zu Wort kommen: »Gestern in der Früh wollte ich zurückradeln. Die Kette riss. Ich bin ein Stück zu Fuß gegangen und habe anschließend den Bus genommen. Dabei bin ich niemandem aufgefallen. Das Rad habe ich in der Eile bei der Scheune liegen gelassen. Wenn Sie es nicht entdeckt hätten …«
    Den Rest des Satzes ließ er unvollendet. Jenny hätte ihn gerne gefragt, was Viola damit zu tun hatte. Sie wagte es nicht.
    Erneut hörte sie das Tosen des Wassers unter sich. Die Todesangst hatte das Geräusch ausgeblendet. Jetzt verschaffte sich die Passer mit aller Kraft Gehör.
    Mit einem Mal umfasste Maurice mit beiden Armen Jennys Taille und hob sie hoch. Nicht in die Klamm, schoss es Jenny durch den Kopf. Sie mobilisierte sämtliche Kräfte, die sie in ihrem erschöpften Zustand zur Verfügung hatte. Sie trat, kratzte und spuckte, was das Zeug hielt. Maurice hielt sie eisern umklammert, doch ihre Attacken begannen, ihm zuzusetzen. Jenny war es gelungen, wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen, Maurice hob sie erneut hoch.
    Kein Zweifel, er hatte vor, sie in die Klamm zu werfen. Jenny machte einen weiteren verzweifelten Versuch, sich aus Maurice’ Griff zu befreien. Neuerlich begann sie, sich mit aller Kraft in der Umklammerung zu winden. Maurice’ Rucksack behinderte ihn bei dem Gerangel, das verschaffte Jenny einen Vorteil.
    Um ihren Attacken auszuweichen, hatte Maurice seinen Körper ein wenig gedreht und stand seitlich zum Geländer. Jenny holte aus, um einen Schwinger auf seinem Kinn zu platzieren. Doch Maurice durchschaute ihre Absicht und wich mit dem Kopf zurück. Jenny vermeinte, sich aus der Umklammerung befreien zu können. Plötzlich strauchelte Maurice. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte über das Geländer. Doch anstatt sie loszulassen, riss er sie mit sich in die Tiefe.
    So viel Glück wie der Knabe Arbeo, dass sie unverletzt auf einem Felsvorsprung landet, würde sie wohl nicht haben, war der letzte Gedanke, der Jenny im Fallen durch den Kopf schoss. Sie spürte den Aufprall auf der Wasseroberfläche. Eisig kaltes Wasser umfing sie. Der Schmerz lähmte ihre Glieder und raubte ihr die Luft zum Atmen.
    *
    Lenz Hofer radelte die Passer entlang. Er hatte auf seinem Weg vom Spital zum Kurhaus, wo er Jenny zuerst suchen wollte, einen Stopp einlegen und sich unterstellen müssen. Der starke Regen machte die Weiterfahrt unmöglich, wollte Lenz nicht riskieren, zu stürzen. Endlich erreichte er das Kurhaus. Doch von Jenny war nach wie vor keine Spur.
    Er hatte in sämtlichen Sälen und Konferenzräumen nachgesehen und sie nirgends entdecken können. Sogar in den Pavillon des Fleurs war er hinübergegangen.
    Resigniert hatte er auch im Café nachgeschaut. Es hätte ja sein können, dass Jenny sich dort eine Erfrischung gönnte. Dem war nicht so. Schließlich hatte er sich wieder auf sein Rad gesetzt und war weitergeradelt. Seine letzte Chance war das Tirolia. Wenn er Jenny auch dort nicht fand, konnte er nur hoffen, dass sie mittlerweile im Krankenhaus eingetroffen war – oder ihn zumindest am Handy anrief.
    Wieder meldete sich die Sorge, die ihn veranlasst hatte, Jenny zu suchen. Arthurs Entführer und Peter Mitterers Mörder war auf freiem Fuß – und Jenny ahnte nichts davon. Es war ihr ohne Weiteres zuzutrauen, dass sie auf eigene Faust nach dem Bild suchte und dabei dem Täter in die Quere kam.
    Inzwischen hatte der Regen aufgehört und der Asphalt begann zu
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