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Kurschattenerbe

Kurschattenerbe

Titel: Kurschattenerbe
Autoren: Sigrid Neureiter
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es für Ihr Buch über Oswald von Wolkenstein verwenden.«
    »Richtig, meine Liebe. Sehr gut.«
    »Warum haben Sie das Bild nicht auf legalem Weg erworben?«
    Kaum hatte sie den Satz beendet, legte er ihr einen Finger auf die Lippen. »Schscht. Ich stelle hier die Fragen.«
    Jenny hätte am liebsten aufgeschrien. Sie war hier mutterseelenallein mit einem irren Mörder, der sie in ein sinnloses Frage- und Antwortspiel verwickelte. Sie beherrschte sich. Es brachte nichts, ihn zu provozieren.
    »Entschuldigen Sie – bitte«, brachte sie hervor.
    »Braves Kind.« Er fasste sie unters Kinn. Im nächsten Moment ließ er von ihr ab.
    Plötzlich richtete Maurice seinen Blick auf einen Punkt irgendwo hinter Jenny und begann zu sprechen: »Das Bild war nicht verkäuflich. Peter Mitterer hat es mir und Arthur gezeigt, hatte es jedoch schon einem anderen versprochen. Am nächsten Tag bin ich zu dem Maler gegangen und habe versucht, ihn zu überreden, dass er es mir überlässt. Ich habe eine hohe Summe geboten.« Maurice sah weiterhin in die Ferne und begann wieder, Jennys Hals zu streicheln. »Da war nichts zu machen. Also habe ich ihn erschlagen und das Bild mitgenommen. Ich bin zu Fuß nach Meran gegangen. Es war dunkel und kein Mensch mehr unterwegs. Den Schuppen in der Gilf habe ich zufällig entdeckt und das Bild dort verborgen. Gutes Versteck, finden Sie nicht?«
    Jenny wurde es eiskalt bei dem Geständnis, das Maurice so selbstverständlich ablegte. Trotzdem brachte sie ein fügsames Nicken zustande. Maurice fuhr fort: »Ich hatte mit meinem letzten Buch keinen besonderen Erfolg. Man begann, hinter meinem Rücken zu reden. Der große Autor kocht auch nur mit Wasser. So haben sie über mich gesprochen. Mein nächstes Buch musste daher ein Erfolg werden.« Maurice unterbrach sich wieder. Er ergriff Jennys Kinn und zog sie näher an sich heran. »Haben Sie überhaupt eine Vorstellung, was ich an Arbeit in dieses Buch über Oswald gesteckt habe? Jahrelange Recherchen, sämtliche Archive habe ich durchwühlt und nichts Greifbares gefunden, nichts, was nicht irgendjemand längst veröffentlicht hatte. Das Bild wäre meine Rettung gewesen. Das Bild, das beweist, dass Oswald wirklich diese Schiffsreise gemacht hat und in Seenot geraten ist. Ich hätte es auf dem Umschlag veröffentlicht, viele Seiten Papier mit Betrachtungen darüber gefüllt und behauptet, ich hätte es auf einem Dachboden gefunden, und dass der Eigentümer nicht genannt werden will.«
    Maurice hatte sich in Rage geredet. So kannte sie den sonst so kontrolliert wirkenden Mann nicht. In den glühendsten Farben schilderte er ihr, wie sein Platz im Olymp der Wissenschaft   und   der Literatur mit diesem Buch ein für alle Mal besiegelt worden wäre. Nur Arthur, der den Zeitungsbericht gelesen und seine Schlüsse daraus gezogen hatte, war Maurice dazwischengekommen und hätte seinen Plan vereiteln können. Unter einem Vorwand lockte Maurice den vertrauensseligen Kollegen zur Scheune, schlug ihn nieder, fesselte ihn mit seiner Krawatte, knebelte ihn mit seinem Stecktuch und sperrte ihn ein.
    »Das Schloss war für mich kein Problem. Als Jungen haben wir oft Ställe und Scheunen aufgebrochen, um uns darin mit den Mädchen zu vergnügen. Schlösser so geschickt zu öffnen und sie wieder so zu schließen, dass man nur bei genauem Hinsehen etwas merkt, war bei uns Knaben zu einem Sport geworden. Ich«, er beugte sich zu Jenny hinunter und sah ihr in die Augen, »habe es darin zu einer Meisterschaft gebracht.«
    Was sonst?, dachte Jenny bitter. Maurice wollte offenbar in allem Meister sein. Und wenn das nicht gelang, scheute er vor Mord und anderen Verbrechen nicht zurück. Und sie würde die Nächste sein. Dieser Tatsache musste sie ins Auge sehen.
    Was hatte Maurice eben gesagt? Er hatte Arthur gefesselt und geknebelt? Wenn das stimmte, warum hatten sie in der Scheune kein Stecktuch und keine Krawatte gefunden. Die Spur hätte eindeutig zu Maurice geführt.
    Als hätte der Mörder ihre Gedanken erraten, setzte er seinen Monolog fort: »Am nächsten Tag bin ich in aller Früh mit dem Rad hinaufgefahren. Ich habe Arthur von seinen Fesseln befreit und ihm stattdessen ein Schlafmittel, das ich in meiner Reiseapotheke hatte, eingeflößt.«
    »Und bei günstiger Gelegenheit hätten Sie ihn umgebracht.« Fragen waren zwar verboten, eine Feststellung durfte sie wohl treffen.
    »Richtig. Nach dem Symposium hätte ich Arthur an einen anderen Ort gebracht und dort erledigt.
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