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Kurschattenerbe

Kurschattenerbe

Titel: Kurschattenerbe
Autoren: Sigrid Neureiter
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die alle Verbindlichkeiten getilgt habe. Woher das Geld gekommen war, wusste freilich auch der Bankier nicht. Die Geschichte hatte allerdings Francas Spekulationen, dass es sich bei dem Mord um ein Exempel an einem Spielschuldner gehandelt habe, neue Nahrung gegeben. Offen blieb, wie das verschwundene Bild zu dieser Annahme passte.
    Aldo Klotz blies die Luft aus. Seit er wusste, dass Perthoner und Pircher einander schon aus Jugendtagen kannten, war der Fall für ihn geklärt: Zwei ehemalige Bergkameraden, die gemeinsame Sache gemacht hatten, um das Bild an sich zu bringen und den Erlös einzustreifen. Dabei war ihnen Professor Kammelbach in die Quere gekommen. Sie hatten ihn betäubt und eingesperrt, sicherlich mit der Absicht, ihn bei nächster Gelegenheit zu beseitigen.
    Aldo warf einen Blick auf die heutige Ausgabe des ›Meraner‹. Dass Pircher den Bericht auf der Titelseite geschrieben hatte, passte da nicht recht ins Bild. Andererseits: Wer konnte in die kranken Gehirne von Verbrechern hineinschauen?
    Aldo Klotz entsann sich der Theorie, die Comploi ihm am Telefon unterbreitet hatte: Danach war Professor Kammelbach einer der beiden Gäste, die den Maler am Vorabend seiner Ermordung besucht hatten. Irgendetwas von einem rechten und linken Auge hatte Comploi gefaselt …
    Verächtlich schüttelte Aldo den Kopf. So weit kam es, dass sein Untergebener sich einbildete, schlauer zu sein. Die Gäste waren zweifellos Pircher und Perathoner gewesen, am nächsten Tag hatten sie Mitterer um die Ecke gebracht.
    Das Telefon klingelte. Comploi war am Apparat. »Machen Sie’s kurz. Ich warte auf einen dringenden …«
    Der Inspektor ließ ihn nicht ausreden. Arthur Kammelbach hatte das Bewusstsein wiedererlangt. Gespannt lauschte Klotz seinem Kollegen.
    *
    Jenny war auf der obersten von drei Aussichtsterrassen in der Gilf angelangt. Dicht vor sich sah sie den kahlen Felsen. Unter ihr toste die Passer. Es hatte aufgehört zu regnen, Jenny war trotzdem klatschnass. Angstschweiß mischte sich mit der Feuchtigkeit, die sich in ihren Kleidern festgesogen hatte. Ein knapp taillenhohes Eisengeländer trennte sie vom Abgrund. Ein Stück Holz, das sie unterwegs aufgelesen hatte, war ihr einziger Schutz vor der Hand des Mörders.
    Die Schritte kamen näher. Sie verbarg ihre behelfsmäßige Waffe vor der Brust. Gleich würde sie sich umdrehen und sie ihrem Verfolger über den Schädel ziehen. Zumindest das Überraschungsmoment wäre auf ihrer Seite.
    »Guten Abend, Jennifer. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass ich noch einmal das Vergnügen habe.«
    Jenny blieb beinahe das Herz stehen. Es war nicht Tony, es war … »Professor Jungmann«, rief sie aus und ließ die Hand, in der sie das Holzstück hielt, sinken.
    »Warum so förmlich? Wir hatten uns doch auf Maurice geeinigt.«
    Mit zwei Schritten war er bei ihr und entwand ihr das Holz. Er holte aus und schleuderte es über das Geländer. Jenny verfolgte die Flugbahn des Gegenstandes, der sich ein paar Mal überschlug und in den Fluten versank.
    Maurice stand dicht bei ihr. Jenny konnte die Aknenarben sehen, die seine Haut verunzierten. Bisher war ihr dieser Makel, der das sonst so perfekte Äußere des Mannes beeinträchtigte, nie aufgefallen. Aus dieser Perspektive war es ihr unverständlich, wie sie ihn für Tony Pera­thoner hatte halten können. Doch die schlanke, für einen Mann nicht besonders hochgewachsene Gestalt und das Haar, das Maurice heute wie Tony nach hinten gebunden trug, machten eine Verwechslung durchaus plausibel.
    »Warum?«, fragte sie in das Schweigen hinein. Obwohl sie nicht damit rechnete, eine Antwort zu bekommen, tat Maurice ihr den Gefallen. »Warum ich Peter Mitterer erschlagen habe? Was meinen Sie, Jennifer?«
    Jenny biss sich auf die Lippen. Was war das? Veranstaltete er etwa ein Quiz mit ihr? Egal, solange er mit ihr sprach, ließ er sie am Leben.
    »Weil Sie das Bild haben wollten?«, rätselte Jenny.
    »Kluges Kind«, sagte er und fuhr ihr dabei mit zwei Fingern über die Halsschlagader. Wenn Jenny es nicht besser gewusst hätte, sie hätte es für eine Liebkosung gehalten.
    »Was meinen Sie, warum ich das Bild haben wollte?«
    Er musste verrückt sein. Stand hier und stellte ihr Fragen wie ein Moderator in einer Ratesendung.
    In Jennys Gehirn arbeitete es fieberhaft. Sie hatte sich bisher keine Gedanken gemacht, wozu Maurice das Bild benötigen würde, da sie ihn nie verdächtigt hatte. Jetzt kam ihr der Schimmer eine Idee … »Sie wollten
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