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Kurschattenerbe

Kurschattenerbe

Titel: Kurschattenerbe
Autoren: Sigrid Neureiter
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nach. Der Burghof hatte sich gelehrt. Hier gab es für ihn nichts mehr zu tun. Er schulterte seine Fototasche und ging zum Wagen, den er – dank der Sondergenehmigung für ihn als Reporter – am Parkplatz vor dem Burgtor abgestellt hatte. Das war ein Vorteil seines Berufs. Man konnte ihm schließlich nicht zumuten, dass er seine Fotoausrüstung den ganzen Weg zu Fuß hierher schleppte.
    Bei seinem Wagen angelangt warf Beppo einen Blick zum Himmel. Die Nacht war sternenklar. Plötzlich durchbrach eine Stimme die Stille. »Gibt es etwas Neues?« Beppo zuckte zusammen. Er hatte niemanden kommen hören.
    »Nein, bisher nicht. Ich meld mich.«
    Er wartete keine Antwort ab. Rasch stieg er in das Auto und ließ den Motor an.

DIENSTAG

DREI
    »Wenn Sie vor dem Hotel geradeaus gehen, kommen Sie zur Hauptstraße. Da gehen Sie rüber und die Serpentinen hinunter zur Promenade.« Jenny rief sich die Wegbeschreibung der Rezeptionistin in Erinnerung. Die Villa Tirolia, in der Jenny, Arthur, Lenz und zahlreiche weitere Teilnehmer des Symposiums untergebracht waren, lag verkehrsgünstig in unmittelbarer Nähe der St. Georgen-Straße.
    Dort konnte man den Bus ins Zentrum von Meran nehmen, wo sich das Kurhaus befand, zu dem Jenny unterwegs war. Sie zog allerdings den Fußweg entlang der Passer vor. Die empfindlich kühle Nacht war einem strahlend schönen Tag gewichen.
    Ehe Jenny am Fuß des Serpentinenweges angelangt war, vernahm sie ein Tosen, das immer lauter wurde, je näher sie der Promenade kam. Zwischen den Bäumen sah sie Gischtkronen hervorblitzen, die Schneeschmelze in den Bergen hatte den Fluss in ein Wildwasser verwandelt.
    Zielstrebig marschierte Jenny die schattige Sommerpromenade am linken Flussufer entlang und ließ in Gedanken den gestrigen Abend Revue passieren. Er war nicht in ihrem Sinn verlaufen. Sie hatte gehofft, in der Pause des Konzertes ein paar Worte mit Lenz Hofer wechseln zu können. Immerhin musste es eine Erklärung dafür geben, dass er nicht, wie ausgemacht, an der Besprechung am Nachmittag teilgenommen hatte. Sie hatte den Assistenten in der Pause des Konzerts erspäht und ihn zur Rede stellen wollen. Er war allerdings ins Gespräch vertieft. Viola Vielle, die Geigerin, befand sich an seiner Seite. Was machte die hier draußen?, hatte Jenny sich gefragt. Sollte Viola die Pause nicht besser dazu nutzen, an ihrem Tempo zu arbeiten, zu meditieren oder was auch immer Musiker taten, wenn sie sich auf ihren Auftritt vorbereiteten?
    Sie schien dies offenkundig nicht nötig zu haben. Das Becken vorgeschoben und lässig einen Arm in die schmale Hüfte gestemmt stand sie neben Lenz. Immer wieder warf sie den Kopf zurück und bleckte die Zähne zu einem wiehernden Lachen.
    Jenny beschloss, die beiden zu ignorieren. So weit würde es nicht kommen, dass Lenz den Eindruck gewinnen könnte, sie laufe ihm nach. Stattdessen begann sie ein Gespräch mit dem Fotografen. Er sah gar nicht übel aus. Breitschultrig und gut gebaut. Seine Haut war sonnengebräunt, die kurzgeschnittenen dunklen Haare waren von silbrigen Fäden durchzogen. Sie schätzte ihn auf Anfang 40.
    Sie hatte gerade ein wenig mit ihm zu flirten begonnen, als Lenz aufgetaucht war. Geradezu ritterlich hatte er ihr seine Jacke um die bloßen Schultern gelegt und sie von dem Mann weggelotst.
    Während der zweiten Hälfte des Konzerts saß Jenny neben Lenz. Ein wenig müde war sie, einmal wäre sie sogar beinahe eingenickt. Lenz hatte sie durch einen sanften Stupser davor bewahrt, mit dem Kopf auf seine Schulter zu sinken. Danach war es ihr gelungen, den Klängen in aufrechter Sitzhaltung zu lauschen. Sie freute sich auf den Rückweg mit ihm. Wenn er Lust hatte, könnten sie zu Fuß nach Dorf Tirol gehen. Der Schlossweg würde mit Fackeln beleuchtet sein, die eigens für diesen Anlass am Geländer angebracht worden waren. Vom Dorf konnten sie ein Taxi nehmen. Kalt war ihr nicht mehr, sie hatte ja Lenz’ Jacke.
    Kaum, dass sie die Burg verlassen hatten, war Kateryna Maximowa auf sie zugekommen. Sie würde gerne ihr Statement für die Pressekonferenz durchgehen. Ob Jenny – seit heute Nachmittag nannten sie sich beim Vornamen – ihr den Gefallen tun und in ihrem Wagen mit zurückfahren könne?
    Natürlich konnte Jenny, etwas anderes blieb ihr gar nicht übrig. Immerhin hatte sie den Auftrag, der mit einem anständigen Honorar dotiert war, allein Katerynas großzügiger Unterstützung für das Symposium zu verdanken. Vom knapp bemessenen Budget der
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