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Kurs auf Spaniens Kueste

Kurs auf Spaniens Kueste

Titel: Kurs auf Spaniens Kueste
Autoren: Patrick O'Brian
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begriff, daß sie die geradlinige Entwicklung, mit der er gerechnet hatte, weit übertraf, konnte aber keine Freude daran empfinden. Während des anschließenden Beifalls und allgemeinen Stühlerückens sah er sich den Blicken seines Nachbarn ausgesetzt, die mehr Abneigung ausdrückten als Verachtung, etwas wie totalen, abgrundtiefen Abscheu. Keiner von beiden sagte ein Wort. Sie saßen nur steif und verlegen da, sich der unangenehmen Gegenwart des anderen sehr bewußt, während Mrs. Harte, die Gattin des örtlichen Marinebefehlshabers, auf ihrer Harfe eine lange und technisch schwierige Etüde zu Gehör brachte. Jack Aubrey starrte durch die hohen, eleganten Fenster in die Nacht hinaus: In Südsüdost ging gerade der Saturn auf, ein glühender Ball am Himmel von Menorca. Der Leutnant überlegte: Mit dem Ellbogen so absichtsvoll und bösartig angerempelt zu werden, das kam doch einer Ohrfeige gleich? Eine Beleidigung konnte er nicht hinnehmen, das duldete weder sein persönliches Temperament noch seine Offiziersehre. Und welche Beleidigung wäre gravierender als ein Schlag?
    Da er seine Wut im Augenblick nicht abreagieren konnte, verwandelte sie sich in Melancholie. Er dachte daran, daß ihm kein Schiff gegeben wurde, sondern nur halbe Versprechungen, die meisten davon längst gebrochen; er erinnerte sich an die vielen gescheiterten Pläne, zu denen ihn bloßes Wunschdenken inspiriert hatte. Er stand tief in der Kreide bei dem Prisenagenten, der seine Geschäfte wahrnahm, schuldete ihm ganze einhundertzwanzig Pfund. Jetzt wurden auch noch die fünfzehn Prozent Zinsen fällig. Dabei betrug sein Monatssold lediglich fünf Pfund und zwölf Shilling. Aubrey dachte an Kameraden — jünger als er, aber erfolgreicher oder nur berechnender —, die als Leutnants eine Kanonenbrigg oder einen Kriegskutter befehligten, falls sie nicht schon zum Kapitänleutnant befördert waren. Und alle scheffelten Prisengeld, erbeuteten Trabakeln in der Adria, Tartanen im Löwengolf, Schebecken und Settien an der spanischen Küste — ganz abgesehen von dem Ruhm, den sie dafür ernteten, und ihren guten Aufstiegschancen.
    Anschwellender Beifall verriet ihm, daß Mrs. Hartes Vortrag beendet war; eifrig schlug er die Hände zusammen und verzog den Mund zu einem entzückten Grinsen. Molly Harte knickste lächelnd, fing seinen Blick auf und lächelte wärmer. Er klatschte noch lauter; aber sie erkannte, daß er entweder nicht restlos hingerissen war oder unaufmerksam zugehört hatte, und ihr Wohlwollen für ihn erkaltete merklich. Dennoch nahm sie weiter mit strahlendem Lächeln die Komplimente ihrer Zuhörerschaft entgegen: ein reizender Anblick in blaßblauem Satin mit doppeltem Perlenkollier um den Hals. Erbeutete Perlen von der Santa Brigida , wie er nur zu gut wußte.
    Jack Aubrey und sein Nachbar im speckigen schwarzen Gehrock erhoben sich beide gleichzeitig und blickten einander an. Jack setzte eine Miene kalten Widerwillens auf — die letzten Reste seiner geheuchelten Begeisterung wurden ihm immer widerlicher, je mehr sie schwanden — und sagte leise, aber drohend: »Mein Name ist Aubrey, Sir. Ich wohne in der ›Crown‹.«
    »Und meiner, Sir, ist Maturin. Sie finden mich vormittags in Joselitos Kaffeehaus. Aber jetzt treten Sie bitte zur Seite.«
    Plötzlich verspürte Jack den übermächtigen Drang, sein vergoldetes Stühlchen hochzureißen und diesen bleichen Mann damit in den Boden zu rammen. Doch dann machte er ihm mit halbwegs glaubhafter Höflichkeit Platz — ihm blieb auch nichts anderes übrig, falls er nicht umgerannt werden wollte — und drängte sich anschließend durch den dichten Kreis blauer und roter Uniformröcke, nur vereinzelt von zivilem Schwarz unterbrochen, der sich um Mrs. Harte versammelt hatte und aus dem gelegentlich Rufe wie »bezaubernd«, »großartig«, »wundervoll gespielt« laut wurden. Er winkte ihr zum Abschied nur kurz zu und verließ den Raum. Auf dem Weg durchs Vestibül tauschte er einen Gruß mit zwei anderen Marineoffizieren. Der eine, der ihm zurief: »Du siehst ja so trübsinnig aus, Jack!«, war ein früherer Kamerad aus der Offiziersmesse der Agamemnon , und der andere, ein hochgewachsener Fähnrich, dem die Wichtigkeit des Ereignisses und die Maisstärke in seinem Rüschenhemd das Rückgrat steiften, hatte als Kadett zu seiner Wache auf der Thunderer gehört. Schließlich machte er noch einen Kratzfuß vor dem Schreiber des Oberbefehlshabers, der seine Verbeugung mit einem Lächeln,
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