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Kunstblut (German Edition)

Kunstblut (German Edition)

Titel: Kunstblut (German Edition)
Autoren: Martin Schüller
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antwortete er. Seiner Stimme war keine Gefühlsregung anzumerken.
    »Um wie viel hat er Ihren Mann betrogen?«
    »Ich weiß keine Zahl, aber Egon war schrecklich wütend. Er war so deprimiert in letzter Zeit, ich glaube, er hatte wirklich Angst, Pleite zu sein.«
    »Ging es tatsächlich nur um Aktien?«
    »Soweit ich weiß, schon.«
    »Und was wissen Sie nicht?«
    Sie antwortete nicht, gelangweilt sah sie hoch zu den hinter den Scheiben vorbeiwandernden Gasentladungslampen.
    »Für wen ist der Umschlag gefährlich?«
    »Ich habe keine Ahnung!« Indigniert sah sie weiter aus dem Fenster.
    »Was ist mit seinem Ex-Kompagnon? Freddy?«
    »Freddy? Was soll mit dem sein?«
    »Nun, er ist ein harter Bursche.«
    »Die beiden haben geschäftlich nichts mehr miteinander zu tun. Egon hat sich weitgehend aus dem Milieu zurückgezogen. Nein, nicht Freddy. Freddy ist in Ordnung.« Sie schüttelte ernsthaft und entschieden den Kopf.
    »Sie können mir also keinerlei Tipp geben und erwarten von mir, dass ich mir eine Bombe in den Safe lege, ohne etwas über ihre Sprengkraft und ihren Zünder zu wissen?«
    »Ich kann Ihnen die Entscheidung nicht abnehmen. Ich kann Sie nur um Hilfe für meinen Mann bitten.«
    »Ich habe ihm schon mehr geholfen, als legal war.«
    »Warum?«, fragte sie. Es war die Frage, die ich mir selbst nicht beantworten konnte.
    »Jetzt ist es halb zwölf«, entgegnete ich. »Wenn ich bis morgen Mittag nichts von ihm gehört habe, werde ich eine Briefmarke draufkleben und Ihnen Ihre Bombe zurückschicken. Per Post.«
    Sie zog noch einmal an ihrer Zigarette, dann warf sie sie aus dem Fenster. »Gut«, sagte sie »Würden Sie mich dann bitte nach Hause bringen.«
    »Natürlich.«
    Sie nannte Herrn Kim die Adresse, er brummte irgendwas und bog ab. Ich zog mein Notizbuch, schrieb die Nummer der neuen Pre-Paid-Karte auf und riss das Blatt raus.
    »Ich glaube zwar nicht, dass Ihr Telefon heute schon abgehört wird, aber morgen sind die bestimmt so weit. Rufen Sie mich nur unter dieser Nummer und nur von der Telefonzelle aus an, hören Sie?«
    Sie nahm den Zettel und nickte, ohne mich anzusehen. Herr Kim hielt an, offensichtlich vor ihrem Haus, denn sie öffnete die Tür, bevor der Wagen stand. Sie sah noch einmal zu mir herunter. »Tut mir Leid«, sagte sie, »aber ich kann Sie nicht leiden.«
    »Tja«, sagte ich, »es gibt Zeiten, da kann man sich seine Freunde nicht aussuchen.«
    Ohne ein weiteres Wort stieg sie aus und warf die Tür zu.
    »Wohin jetzt?«, fragte Herr Kim.
    »Oberkassel. Wo Sie mich abgeholt haben.«
    Er fuhr an. »Der Vectra bleibt bei dem Haus stehen«, sagte er nach einigen Sekunden, und ich schälte mich aus dem Fußraum. Aufatmend sank ich auf die Rückbank und rieb mir die Kniekehlen. Dann zog ich meine Brieftasche und reichte ihm den halben Fünfziger und einen weiteren ganzen. Er steckte ihn ein, ohne sich zu bedanken, und bog auf die B 8 ab.
    »Haben Sie eine Karte?«, fragte ich.
    Er reichte mir eine billige Visitenkarte aus dem Automaten über die Schulter. »Ab sechzehn Uhr«, sagte er. »Außer sonntags.«
    »Es ist wichtig, dass Sie alles vergessen, was Sie eben gehört haben. Zu Ihrem Besten, Herr Kim.«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, sagte er, ohne den Kopf auch nur einen Millimeter zu bewegen.
    Ich grinste. »Sie hören von mir«, sagte ich.
    * * *
    Als sich die Aufzugtür öffnete, schlug mir ein aufdringliches Herrenparfum entgegen, es roch teuer. Ich hatte es schon mal gerochen, und meine Erinnerung verband nichts Angenehmes damit. Ich drehte mich um und nahm die Treppe. Hinter einer Tür im zweiten Stock hörte man den Fernseher, sonst war das Treppenhaus still. Im dritten Stock deponierte ich Wolters Umschlag unter der Terrakotta-Schale auf der Fensterbank. Dann zog ich meine Pistole und ging zum vierten Stock hoch. Meine Tür war nur angelehnt, was mir wenig Wunder schien, als ich das Schloss betrachtete: Es war aufgebohrt.
    Ich leide unter zwei Schwächen, einer berufsbedingten und einer angeborenen. Die berufsbedingte: Ich misstraue Alarmanlagen. Wenn ein neues Alarmsystem im Handel ist, ist es immer einen Schritt hinter professionellen Knackern zurück. Deren Quellen sitzen meistens in derselben shanghaianischen – oder wie das heißt – Werkstatt, in der die Anlage zusammengelötet wird. Der ganze Aufwand kann also immer nur Leute abschrecken, die langsamer sind als man selbst – eine Klientel, von der ich mich prinzipiell weigere, beeindruckt zu
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