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Kunst hassen

Kunst hassen

Titel: Kunst hassen
Autoren: Nicole Zepter
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erfasst hat – der Superlativ, die Leistung zählt. Einige wahllose Beispiele aus den eben angesprochenen Pressetexten, Katalogen und Artikeln: »Thomas Demand gehört zu den international bekanntesten Künstlern seiner Generation.« »Nedko Solakov (b. 1957 , Cherven Briag) is one of Bulgaria’s internationally best known contemporary artists.« »Annie Leibovitz is without a doubt one of the most celebrated photographers of our time.« »Von Hirst selbst,dem erfolgreichsten Künstler der letzten zehn Jahre, zeigt die Schau Teile seiner gewinnbringenden Auktion 2008 bei Sotheby’s …« »Jonathan Meese gehört zu den erfolgreichsten Künstlern der Gegenwart und ist auch häufiger als die meisten seiner Kollegen in den Medien präsent.« »Daniel Richter gehört zu den erfolgreichsten Künstlern der jüngeren Generation in Deutschland.« »(Anselm) Kiefer ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Künstler.« »Havekost, der zu den bedeutendsten Künstlern seiner Generation zählt.« »Holzer is considered one of the most significant and pioneering contemporary artists …« »Ai Weiwei gilt als der bedeutendste chinesische Künstler der Gegenwart.« »Born in 1939 , Richard Serra is one of the most significant artists of his generation.« »Gerhard Richter gehört zu den bedeutendsten Künstlern des 20 . und beginnenden 21 . Jahrhunderts.«
    Künstler werden hemmungslos idealisiert. Ein bisschen genial, ein bisschen meschugge. Das hat kein Künstler verdient. Die schmeichelnden Formulierungen sind wenig überzeugend. Der Begriff des Genies wird zum Totschlagargument. Um die Fallgrube zu verdeutlichen, in der sich der Künstler befindet: Eine ähnliche Idealisierung findet bei Frauen statt, die eine gleichberechtigte Behandlung unmöglich macht. Der Philosoph Hubert Schleichert hat dies in seinem Buch Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren, verdeutlicht: »Ein bemerkenswertes Beispiel ist Schillers Gedicht ›Würde der Frau‹. Es beginnt mit den Zeilen: ›Ehret die Frauen! Sie flechten und weben / Himmlische Rosen ins irdische Leben / Flechten der Liebe beglückendes Band / Und in der Grazie züchtigem Schleier / Nähren Sie wachsam das ewige Feuer / Schöne Gefühle mit heiliger Hand. ‹ Das Gedichtschildert Unrast und Gewalttätigkeit des Mannes und setzt die ruhigen Tugenden der Frau entgegen. Es ist meisterlich konstruiert – und unerträglich.«
    Dem Künstler geht es nicht viel besser. Er müsste sich gegen diese Art von verlogener Lobhudelei wehren. Er spürt jedoch die Dringlichkeit nicht. Er wird in seiner Position als Genie nur noch mehr gestützt. Denn unser Bedürfnis nach dem Anderssein, dem Bessersein, dem Göttlichsein ist groß. Wir sehnen uns nach dem Mut derer, die ihre intuitive Kraft nutzen. Wir sehnen uns nach denen, die über die Stränge schlagen, die durchdrehen, die sich nicht anpassen lassen. Wir suchen die Triebfeder einer Gegenmacht zu unserem gesellschaftlichen Leben. Wir suchen sie auch noch im letzten Winkel einer drittklassigen Matisse-Ausstellung. Wir schreiten andächtig um Martin Honerts öden wackelnden Wackelpudding herum. Wir sind das liebliche Publikum. Wir starren auf Gerhard Richters Malerei und versuchen angestrengt, etwas zu entdecken. Wir laufen an den vielen Bildern der Gemäldesammlungen vorbei, ohne auch nur eines wirklich zu sehen. Wir werden zu einer Masse und vergessen unsere Individualität. Wir haben keine eigene Meinung mehr. Wir schreiten. Von Kunstwerk zu Kunstwerk. Wir halten ausreichend Abstand. Wir wissen nichts. Wir wollen auch nichts wissen. Wir haben Angst. Wir haben keine Ahnung. Wir werden zu einem Bestandteil in einem Schauspiel, das die Rollen klar definiert hat. Wer sich nicht daran hält, wird zurückgepfiffen. Anfassen verboten. Wir konsumieren Kunst als Idee, wir erleben die Kunst selbst nicht mehr. Bevor wir nicht den Irrglauben an das Genie ablegen, wird eine Auseinandersetzung mit der Kunst nicht möglich sein. Deshalb gilt ab sofort: Glorifizierung ist verboten.

Der Künstler – von Beruf Außenseiter
    Der Künstler ist einer von uns: Man sieht ihn sich an, wie er da auf dem Stuhl sitzt vor seinem Laptop, in schwarzer Jeans, Turnschuhen, deren schnürsenkellose, grüne Zunge sich wie eine Blüte am Ende seines Beines öffnet. Dunkelblondes Haar mit grauen Strähnen. Er hat seine Jacke nicht ausgezogen, schwarze Harrington, Fred Perry. Er trägt das Emblem in grün. Für einen kurzen
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