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Kunst hassen

Kunst hassen

Titel: Kunst hassen
Autoren: Nicole Zepter
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Minimum der Regeln durchbrochen wird. Bitte nicht berühren! Please do not touch the artworks! Fotografieren verboten! Die Variationen scheinen endlos. Die Besucher eines Museums werden immer wieder aufs Neue überrascht:

    »Ich sitze gern in Museen und schlage den Maler, das Thema des Bildes per Smartphone auf Wikipedia nach. Das Telefon ist selbstverständlich stumm geschaltet, ich habe es nicht einmal am Ohr. Bisher ist aber fast jedes Mal ein Wärter gekommen und hat mir das verboten. Man darf im Museum leider nicht Wikipedia lesen.«

    »Es war in der Tate Modern, eine Gauguin-Ausstellung. Ich hatte mit meinem Handy ein Foto von einem Bild gemacht, was mir eine Aufsicht sofort lautstark verboten hat. Ich musste es dann vor seinen Augen löschen, der Typ hat mich drei Räume lang weiter verfolgt. Ich kam mir vor wie ein Verbrecher.«

    »Mir hat einer der Aufsichten von hinten auf die Schulter gegrabscht und ›Achtung‹ gebrüllt – fand er saukomisch, ich allerdings habe mich wahnsinnig erschrocken. Zumal ich mich wirklich nur mit dem Kopf ein wenig zur Wand gebeugt habe, um von der Seite aufs Bild sehen zu können. Ich wusste also gar nicht, was ich verkehrt gemacht hatte. Es bleibt nach so einer Zurechtweisung immer ein bitterer Nachgeschmack, vielleicht ist mein Fell nicht dick genug.«
    »Mein Highlight: In der Studiensammlung der Nationalgalerie ist mir ein Wärter mit quietschenden Sohlen penetrant hinterhergelaufen, ich konnte mich überhaupt nicht auf die Sammlung einlassen. Sowieso hat man oft das Gefühl, die stürzen sich auf einen, wenn man einen Raum betritt. Du hast immer das Gefühl, dir wird misstraut.«
    Dass auch die sogenannten Eingeweihten in der Beziehung nichts zu lachen haben, zeigt eine Geschichte des britischen Schriftstellers und Kunstkritikers John Berger aus London. Sie erzählt davon, wie Berger im Jahre 2008 in der National Gallery in London eine Christusdarstellung abzeichnen wollte. Er nimmt dazu Papier und Tinte, stellt seine Tasche auf einen Stuhl ab und beginnt zu zeichnen. Kurz darauf wird er von einem Mann in Uniform unterbrochen. Es ist eine der Museumsaufsichten. Berger solle seine Tasche vom Stuhl nehmen. Er nimmt die Tasche und stellt sie auf den Boden. Berger versucht, zu zeichnen. Der Mann in Uniform ermahnt jedoch weiter: Die Tasche darf nicht auf dem Boden stehen. Berger versucht ihn zu beruhigen, öffnet die Tasche, da sei nichts Gefährliches drin, er sagt, er wolle nur zeichnen. Aber auch das, so hört er, sei verboten. »Hören Sie«, erwidert Berger, »wenn wir jemanden rufen müssen, dann vielleicht einen von der Museumsverwaltung, mit etwas Glück werden sie erklären, dass das schon in Ordnung ist.« »Die Museumsverwaltung hat mit uns nichts zu tun«, grummelt der Uniformierte, »wir sind unabhängig und kümmern uns hier um die Sicherheit. Hängen Sie sich die Tasche über die Schulter.« Berger erklärt ihm, dass er dann nicht mehr zeichnen könne, der Skizzenblock sei dafür zu groß. »Tasche über die Schulter, los!« Er hebt sie auf und hält sie Berger vors Gesicht. Bergersteckt die Kappe auf den Stift, nimmt die Tasche und sagt laut: »Fuck!« Der Mann in Uniform schüttelt grinsend den Kopf. »Obszöne Äußerungen in der Öffentlichkeit«, meint er, »auch das noch. Der Chef ist unterwegs.«
Kunst wird bewacht
    Kunst wird nicht beschützt, sie wird regelrecht bewacht. Unter allen Umständen – und mit allen Mitteln. Der Gang in ein Museum ist einer freiwilligen Auslieferung gleichzusetzen: Man hat sich den Regeln zu unterwerfen, das Misstrauen ist größer als in jedem Klassenraum. Und das ist keine Atmosphäre, in der Kunstbetrachtung Spaß bringt. Im Gegenteil. Zwischen Besuchern und Angestellten eines Museums herrscht eine diffuse Kluft. Es sind zwei Gruppen, die einander fremder nicht sein könnten. Der Besuch des Museums kann zu einem Spießrutenlauf werden, bei dem der Besucher im Zweifel mit einem unangenehmen Gefühl der Scham zurückbleibt. Scham – entstanden durch die Methode der Rangordnung. Du oben, ich unten. Wir fühlen uns im Museum ohnmächtig und machtlos, infolgedessen unterwerfen wir uns. Alles spricht eine Sprache: Eigenes Denken ist in der Kunstbetrachtung dringend notwendig (also strengen Sie sich an), Sie sind aber nicht befähigt, darüber zu urteilen (also behalten Sie es für sich). Die Möglichkeit der direkten Konfrontation seitens der Besucher – Applaus, Buhrufe, offener Diskurs – gibt es nicht. Stattdessen
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