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Kürzere Tage

Kürzere Tage

Titel: Kürzere Tage
Autoren: Anna Katharina Hahn
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setzt. Vorsichtig schiebt Marco die Hand in die Innentasche. Die anderen Typen neben ihm schauen in ihre Biergläser und labern sich gegenseitig voll, Koffer zwischen den Beinen, Glatzen und Bäuche. Wenn die wüßten. Er fühlt das Päckchen mit den Banknoten. Es ist nicht besonders dick. Den anderen Teil hat er im linken Turnschuh, die grünen Scheine, Hunderter. Er wußte nicht, daß es auch Hunderter gibt. In der Kasse waren nur drei davon, die hat er unter die schweißige Einlage gesteckt, ein paarmal gefaltet, für später. Es ist ein blödes Gefühl, ständig nach links und rechts zu glotzen wie ein Pinguin. Die drehen den Kopf auch immer hin und her, das hat er mal in der Wilhelma gesehen, mit Eino. Eino, der wird sich wundern. Eino, ich komme. Das hat er gedacht, als errausgelaufen ist aus dem brennenden Laden. Jetzt klingt es hohl, total bescheuert. Ob Eino ihn überhaupt noch erkennt? Marco trinkt langsam seine Cola. Sie rauscht eiskalt in den Magen, der sich sofort zusammenkrampft. Es geht ihm wirklich nicht besonders. Eigentlich hätte er lieber einen warmen Kakao, Kakao mit Sahne obendrauf. Das gab es manchmal bei Oma Bine. Sprühsahne aus einer hellblauen Flasche, die Mini-Marco beim ersten Mal für Haarspray gehalten hatte. Aber von der Bedienung hätte es vielleicht einen blöden Spruch gegeben, und auffallen, das war das letzte, was Marco wollte.
    Als er vom Brunnen zu Nâzım hochgelaufen war, mit seiner Tüte und der Pistole, die vorn im Hosenbund steckte und verheißungsvoll drückte, hatte er sich noch gut gefühlt. Er ging die Straße entlang, stellte sich vor, er wäre ein Megamonster, ein Dino mit riesigen Krallenfüßen, der mit jedem Schritt einen Graben hinterließ, mit seinem Schwanz die Fensterscheiben im ersten Stock einschlagen und feurigen Atem in die Wohnungen dieser Arschlöcher blasen konnte. Er spürte, wie sehr er die Constantinstraße haßte, ihre hohen Häuser mit dem Schnörkelkram, fetten Engeln, die ihn fies angrinsten, die sauber gekehrten Gehwege, die Schilder an den Hauswänden, deren Aufschriften er nicht verstand: Ayurveda. Hawaianische Körperarbeit. Was sollte das sein? Ficken, bestimmt was mit ficken. Wie sonst konnte man sich leisten, da drin zu wohnen? Er sah die mit Terrakottafliesen ausgelegten Eingangsbereiche, die schmiedeeisernen Törchen. Alles schien zu sagen: Hau ab!
    Die Wut hatte ihn mutig gemacht, denn ihm war schon ziemlich schlecht gewesen, als er merkte, jetzt oder nie, es wird ernst. Auf der Straße war einiges los, und immer wieder gingen neue Wichser zu Nâzım rein. Dann wurde es endlich ruhiger, nur zwei Spasten, ein Typ und eine Frau, kamen noch angerannt, rissen die Ladentür auf. Die hatten es wirklich eilig. Marco hatte sich selbstin den Arsch getreten: Willst du nun zu Eino, nach Estland, in das Haus am Meer, oder nicht? Da drin ist die Kohle, ’ne ganze Kichererbsendose voll, also, hol sie dir!
    Marco wischt sich mit dem Jackenärmel über den Mund und über den Nasenrücken, auf dem Schweißtropfen stehen. Er schwitzt, obwohl er friert wie verrückt und zittert in der dicken Jacke. Er ist völlig von der Rolle und fummelt schon wieder in der Tasche nach dem Geld. Es ist noch da, wieder rechts-links-rechts geglotzt – wenn das so weitergeht, landet er in der Klapsmühle, bevor er einen Fuß in den Zug gesetzt hat. Aber er hat echt Probleme mit der Scheiße von vorhin, den Idioten im Laden, Nâzım und den anderen, der Rothaarigen aus der Superwohnung. Erst als sie schrie, hat er gemerkt, daß er sie kennt. Eine grüne Strumpfhose hatte sie damals angehabt. Ihr Gesicht war echt hübsch, die Augen, der kleine Mund. Fast hätte er ›Hallo‹ gesagt oder ›Hey‹, sie war ihm gar nicht aufgefallen, er hatte nur den zeternden Nâzım gesehen, der sofort still wurde, als er die Pistole sah. Sie lag am Boden neben ihrem Typen und starrte zu ihm rüber, während Nâzım das Maul offenstand. Schon witzig, wie sie alle einknickten beim Anblick von Pornos Berlinsouvenir, ein Feuerzeug, meine Fresse. Wenn das Ding echt gewesen wäre, er hätte den Knoblauchfresser gerne abgeknallt. Er fühlte, daß er es konnte, ihm das Maul stopfen, auf immer und ewig, allein für die Sachen, die er da rausgeplärrt hatte – Abschaum und so. Na ja, er hatte sein Fett wegbekommen, stand mitten in einer Pfütze von dem Zeugs, und nachher war da nur noch Feuer. Marco konnte das Geschrei eigentlich die ganze Zeit hören. Es war nicht aus den Ohren zu kriegen. Der
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