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Kühlfach betreten verboten

Kühlfach betreten verboten

Titel: Kühlfach betreten verboten
Autoren: Jutta Profijt
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enttäuscht. Im Bett lag die übliche Brandleiche in Fechterstellung. Tatsächlich verkürzen sich beim Feuertod die Muskeln, und da die Beugemuskeln stärker sind als die Strecker, winkeln sich Arme und Beine von selbst an. Dabei kann es durchaus zu ausgekugelten Gelenken kommen, was hier als Folter missverstanden werden könnte, aber ich wusste es besser. Okay, zugegebenermaßen konnte ich natürlich gar nicht feststellen, ob das Grillfleisch vor mir Mann oder Frau gewesen war, aber wer, außer Sibel Akiroglu, sollte es sonst sein?
    Ich war abflugbereit und überlegte, ob ich die hektische Suche, die Gregor und Jenny anführen würden, überhaupt noch verfolgen oder mich doch lieber für eine Weile ganz wegschalten sollte. Urlaub wäre mal ganz gut. Auf Malle war bestimmt auch im November noch Party. Ich war noch nie auf Malle gewesen, da konnte ich jetzt problemlos hin   …
    Wie war ich überhaupt gerade auf Malle gekommen? Richtig, die leeren Flaschen vor dem Bett.
    Flaschen?
    Wie wahrscheinlich war es, dass vor dem Bett, auf dem das gefesselte Entführungsopfer lag, eine Batterie Schnapsflaschen stand? Das Glas war zerplatzt, die Etiketten größtenteils verbrannt, aber die Buchstaben   …ribischer Ru… konnte ich noch entziffern. Außerdem kannte ich die Flaschenform. Es handelte sich um ein eher günstiges Produkt. Genau gesagt war es billiger Fusel, der einem ziemlich schnell ziemlich große Löcher ins Hirn brennt.
    Das warf all meine Vermutungen über den Haufen. Ich unterzog auch den Rest der Hütte einer genaueren Betrachtungund versuchte, etwas zu erkennen, das mir weiterhalf, aber auf dem Bett lagen keine angekohlten Handschellen oder Stricke und auch an den Wänden (sofern noch vorhanden) waren keine Hilferufe eingeritzt. Das Einzige, was für mich noch bemerkenswert war, waren die verkohlten Elch- oder Hirschköpfe oder wie die Viecher mit den Hornmützen heißen, aber das war nur privates Interesse und hatte mit dem Fall nichts zu tun.
    So blöd es sich anhört: Mit ein bisschen Glück hatte ich die falsche Hütte gefunden. Ich machte mich wieder auf den Weg.
    Eine halbe Stunde später fand ich sie. Okay, ich hatte Sibel Akiroglu nie persönlich gesehen und die Roulade auf dem Bett sah der Tussi auf dem Familienfoto nur noch bedingt ähnlich, aber wie viele Türkinnen mögen in Eifler Jagdhütten gefesselt und geknebelt auf einem Bett liegen?
    Sie bewegte sich kaum, aber sie lebte. Und sie fror. Die Hütte war ungeheizt, Sibel lag auf der Decke, nicht darunter. Ihre Lippen waren blau, ihre Haut war blau, und ihre Hände, die ihr rechts und links an den Körper gebunden waren, waren auch blau, und sie hatte in die Hose gepisst. Einige träge Fliegen umschwirrten sie, sie reagierte nicht. Hier war Hilfe dringend nötig, aber wie sollte ich Gregor und Jenny hierherlotsen bevor sie anfingen, alle Adressen der Reihe nach abzuarbeiten?
    Es gab nur einen Weg, und der hieß   – Sie ahnen es   – Martin.
     
    Martin befand sich in Edis und Jos Zimmer. Edis Mutter saß auf Edis Bett und hielt die Hand ihrer Tochter.
    »Und du hast keine Erinnerung an die Zeit hier im Krankenhaus?«, fragte Martin gerade.
    »Nein. Ich war im Auto und dann hat es gekracht und dann kam der Mann und dann bin ich hier aufgewacht.«
    »Hey, Zahnspange!«, rief ich. »Du wirst mich doch wohl nicht völlig vergessen haben? Denk an das, was ich dir über die Klamotten gesagt habe.«
    »Du hier?«, fragte Martin.
    »Ich habe Sibel gefunden. Du musst Gregor auf die richtige Spur setzen, sonst kommt er vielleicht zu spät.«
    »Tut mir leid, ich muss gehen«, sagte Martin zu Edis Mutter. »Alles Gute.«
    Sie schüttelten sich die Hand, Martin gab auch Edi die Hand, aber ihr fielen schon wieder die Augen zu.
    »Tschüss, Martin«, murmelte Edi.
    Martin erstarrte. Ich erstarrte.
    Edis Mutter sagte: »Nein, Mami geht nicht. Ich bleibe bei dir, mein Häschen.«
    »Hat sie nicht Martin gesagt?«, fragte Martin mich.
    »Habe ich auch verstanden.«
    »Aber ihre Mutter meint, sie hätte ›Tschüss, Mami‹ gesagt«, dachte Martin.
    »Hat sie aber nicht«, maulte ich.
    Da war ich mir ganz sicher.
    Oder?
     
    Wir verließen die Intensivstation und gingen in die Cafeteria. Martin brauchte einen Tee. Läppische, konventionelle Teebeutel. Igitt. Aber er blieb freundlich. Die Kassiererin an der Selbstbedienungstheke konnte ja nichts dafür, dass hier kein ökosozialer Vorzeigetee ausgeschenkt wurde.
    »Ich habe Sibel gefunden. Sie ist in
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