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Kühlfach betreten verboten

Kühlfach betreten verboten

Titel: Kühlfach betreten verboten
Autoren: Jutta Profijt
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auf der körperlichen Normalebene, verbrachte ich viel Zeit damit, in Notaufnahmen von Krankenhäusern oder eben an Unfallschauplätzen herumzuhängen, in der Hoffnung, mal wieder eine Seele zu treffen, die mir Gesellschaft leistet.
    Deshalb war ich hier.
     
    Mit Kindern hatte ich allerdings nicht gerechnet. Ich habe mit solchen Rotznasen auch noch nie was im Sinn gehabt   … Es gab da mal einen Cousin, der genau an meinem achtzehnten Geburtstag geboren wurde und von dem alle Welt annahm, dass ich ihn schon allein deswegen süß finden müsste. Wir zwei, durch ein Band des Schicksals miteinander verbunden. Ha! Ich hab ihm Band des Schicksals gegeben, als ich einmal auf ihn aufpassen musste. Hab ihn am Tischbein festgezurrt. Nackt auf dem Töpfchen, damit ich nicht noch den Kacksack wechseln musste. Hat ziemlichen Ärger gegeben, damals. Dabei war ich sicher, dass dem Knilch eine Nacht auf dem Topf nicht geschadet hat, zumal diese Teppichratten in jeder Haltung pennen können. Aber Eltern befinden sich einfach immer im Zustand höchster Hysterie, was ihren quengelnden Nachwuchs betrifft. Wenigstens musste ich mich nie mehr um den Cousin kümmern. Ziel erreicht.
     
    Jetzt hing ich also in einigen Meter Höhe über dem Unfallschauplatz und konnte leises Weinen hören. Oder Wimmern. Keine Ahnung, wie man diese Geräusche, die mich umschwirrten, nennen soll. Erst dachte ich, es käme von den Gaffern, die sich auf ihrer Brückenloge ungefähr auf gleicher Höhe befanden wie ich, aber es kam eindeutig von den Kindern, deren Körper auf dem Asphalt vollkommen reglos nebeneinanderlagen. Ich erstarrte.
    »Ruhe!«, rief ich laut und, wie ich fand, ziemlich autoritär.
    Das Gewimmer verstummte.
    »Wer seid ihr?« Hausmeistertonfall. Also so ziemlich die grässlichste Bedrohung, die Kinder in dem Alter kennen.
    »Ich seh mich von oben«, jammerte plötzlich eine Stimme direkt neben mir.
    »I-i-i-ich auch«, schluchzte eine zweite.
    »Weil wir tot sind«, entgegnete eine dritte in einem relativ gefassten, eher etwas klugscheißerischen Tonfall. Eine Mädchenstimme. War ja klar.
    Die vierte Stimme winselte einfach weiter.
    »Ich will nach Hause«, jammerte die zweite Stimme.
    »Ruhe!«, brüllte ich wieder.
    Ich konnte spüren, wie die Seelchen zusammenzuckten.
    Ich musste mich erst mal sortieren. Das Gejammer kam eindeutig von meiner Ebene, nicht vom Asphalt. Waren die Rotzlöffel etwa schon tot? Die Sanis schienen nicht der Meinung zu sein, denn sie gaben ihnen Spritzen. Tote Leute kriegen keine Spritzen, so viel ist klar, das wäre Verschwendung.
    Und trotzdem hingen diese Bonsai-Seelen hier oben bei mir rum. Kapierte ich nicht. Also zurück auf Start und ganz von vorn anfangen.
    »Jetzt mal der Reihe nach«, ordnete ich an. »Wer seid ihr und woher kommt ihr?«
    »Wir sind aus der 3c. Ich heiße Edeltraud.«
    »Edeltraud?«, fragte ich, dann brüllte ich los. Vor Lachen. So einen dämlichen Namen hatte ich ja noch nie gehört.
    Ich spürte, dass sie schmollte, und gleichzeitig erschien ihr Gesicht wie ein Nebelschleier vor mir. Der Nebelschleier sah aus wie das feldkaninchenblonde Gör mit den zwei Zöpfen auf der Straße, nur konnte ich jetzt auch noch sehen, dass Ober- und Unterkiefer mit Blitzableitern vernagelt und die Augen hinter dem schiefen Brillengestell voll Wasser waren. Scheiße. Heulende Weiber bedeuten immer Stress.
    »Sie mag ihren Namen auch nicht sehr«, murmelte eine Jungenstimme. »Deshalb sage ich Edi zu ihr.«
    »Und wie heißt du?«, fragte ich in die Luft.
    »Jo.« Der kleinste der drei Jungs tauchte als durchscheinendeGestalt vor mir auf. Geile Vorstellung. Die Kids nennen ihre Namen und dann kann ich sie auf Geisterebene sehen. »Eigentlich Johannes-Marius.«
    »Mit abartigen Namen kennst du dich also aus«, stellte ich fest.
    »Ich bin Bülent.« Aha, der dunkelhaarige Pummel.
    »Niclas.« Größer als die anderen, spindeldürr und rothaarig. Ein Feuermelder. Ich hatte das Wort kaum gedacht, als Niclas auch schon in Tränen ausbrach. Na super. Eine besserwisserische Zahnspange, ein frauenverstehender Knirps, ein knödeldicker Türke und ein feuermelderroter Waschlappen. War die 3c die Ausschussklasse der Sonderschule?
    Der kleine Geistertrupp ließ unglücklich und verwirrt die Köpfe hängen und beobachtete mit einer Mischung aus faszinierter Neugier und namenlosem Entsetzen die Vorgänge unten auf dem Asphalt.
    »Und euer Fahrer war besoffen und hat sich aus dem Staub gemacht, nachdem er die
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