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Kuckucksmädchen

Kuckucksmädchen

Titel: Kuckucksmädchen
Autoren: Eva Lohmann
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beiseitegedrängt und müssen zusehen, wie die Schrankwand, einst der ganze Stolz der Mutter, mit dem Vorschlaghammer in Stücke gehauen wird. Wie sich fremde, lieblose Hände auf der Suche nach einem möglicherweise vergessenen Sparstrumpf durch sorgsam gebügelte Kleider wühlen. Und wie all die ein Leben lang angesammelten Dinge, all die langjährige Mühe, all das ausgegebene Geld ganz plötzlich seinen Wert verliert.
    Mein Chef hatte mich noch während des Studiums eingestellt. Eigentlich brauchte er jemanden, der seinen rauen Jungs beibrachte, kostbare japanische Vasen von billigen chinesischen Kopien zu unterscheiden. Jemanden, der einschätzen konnte, wie viel ein Schmuckkästchen noch wert war oder eine Sofagarnitur.
    Eine Zeit lang arbeitete ich auf Provisionsbasis, fand die handelsüblichen Preise von Gegenständen heraus und vermittelte sie an Händler weiter. Es war ein etwas ungewöhnlicher Job, meine Kommilitoninnen beäugten ihn skeptisch. Sie selbst arbeiteten aushilfsweise in teuren Möbeldesignläden oder zogen die ersten Jobs bei kleinen Innenarchitekten an Land. Aber ich mochte die Arbeit und ich mochte den Chef, und schließlich sollte es nur etwas Geld bringen, bis ich mit dem Studium fertig wäre.
    Wenn ich die Kunden zum ersten Termin in den Wohnungen ihrer verstorbenen Verwandten traf, bewegte ich mich dort anders als die harten Männer von der Konkurrenz. Ich strich respektvoll über alte Glasvitrinen, betrachtete wertschätzend die über Jahre zusammengetragene Puppensammlung und nickte anerkennend über das vierundzwanzigteilige Rosenthalgeschirr. Ich ließ mir erzählen, auf welchen Reisen die Fotografien an den Wänden und auf Kommoden entstanden waren, fragte nach, in der wievielten Generation die schwere Eichentruhe vererbt worden war, und wurde nicht ungeduldig, wenn ein Kunde sekundenlang mit starrem Blick verharrte, weil er eine vergessene Zuckerdose aus seiner Kindheit gefunden hatte.
    Ohne es zu wissen, nahm ich meinen Kunden das fiese, leichenfleddrige Gefühl, das normalerweise über Wohnungsauflösungen liegt. Ich machte ihnen nichts vor, auch bei uns kommen irgendwann die Jungs mit dem Vorschlaghammer. Aber seitdem ich in der Firma arbeitete, sorgte ich eben dafür, dass sie für die Augen der Kunden unsichtbar waren. Und plötzlich passierte etwas, womit keiner gerechnet hatte. Die Kunden fühlten sich wohl mit mir. Sie empfahlen die Firma weiter. Wir waren auf eine Marktlücke gestoßen, von der wir nicht gewusst hatten, dass es sie gibt.
    Mein Chef war glücklich. Er stellte mich fest ein, er bezahlte mich gut, ich ging nur noch ab und zu zur Uni. Dann immer seltener. Das letzte Mal war ich mittlerweile vor eineinhalb Jahren dort. In diesen eineinhalb Jahren habe ich genau achtzehn Häuser und dreiundzwanzig Wohnungen ausgeräumt. Die Wohnung meiner Großeltern ist Nummer vierundzwanzig.
    Wenn meine Arbeit hier getan ist, wenn ich die Schubladen und Schränke ausgeräumt, die Bilder abgenommen, die Familienerbstücke aussortiert und die noch brauchbaren Kleinmöbel verschenkt habe, wenn die Jungs alle Einbauschränke kaputt geschlagen, den alten Röhrenfernseher auf den Sondermüll gebracht und den restlichen Schutt in die großen Container vorm Haus geworfen haben, dann werde ich in der leeren Wohnung knien und den moosgrünen Teppich herausziehen. Ich werde sehen, mit welchem Klebstoff die Raumausstatter in den Neunzigern gearbeitet haben, und vielleicht das ein oder andere damals noch nicht graue Haar meiner Großmutter finden, das zwischen Dielen, Klebstoff und Teppichboden konserviert zwanzig Jahre lang auf mich gewartet hat wie ein erstarrter Käfer im Bernsteintropfen.
    Ich werde so tun, als hätte ich es nicht gesehen. Ich werde den Teppich in großen Rollen auf die riesigen, übervollen Container schmeißen – ganz, wie ich es immer tue. Ich werde meinen Vater in Köln anrufen und ihm mitteilen, dass alles erledigt sei. Er wird erleichtert klingen, wenn er sich bedankt. Und dann wird er mich fragen, ob Jonathan und ich sein Geschenk denn nun annehmen wollen.
    Erst drei Tage später meldet sich das Herz wieder, und es scheint keinen Anstoß daran zu nehmen, dass ich nicht allein bin. Jonathan steht in der Küche und bereitet den Knoblauch fürs Curryhuhn vor. Sorgsam schält er die dünne Haut ab, schneidet die Zehe mit einer
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