Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kuckucksmädchen

Kuckucksmädchen

Titel: Kuckucksmädchen
Autoren: Eva Lohmann
Vom Netzwerk:
Den ganzen Weg hätte ich ein unsichtbares Gummiband um meinen Bauch gespürt, das mich zurückzieht, eine Melancholie, die sich immer weiter zwischen uns ausgedehnt hätte. Circa zwei Wochen hätte man dieses Band aushalten müssen, ich hätte ein bisschen geweint und mich gefragt, ob diese Trennung ein Fehler war. Später hätte sich das Band gedehnt, wäre rissig geworden, irgendwann hätte ich es nicht mehr wahrgenommen. Eine Weile wäre ich noch der festen Überzeugung gewesen, dass wir irgendwann, in zehn Jahren, wenn wir uns ausgelebt hätten, wieder zusammenkommen und vielleicht sogar Kinder haben würden. Zwei Jahre später hätte ich den Mann auf einer Party wiedergetroffen und mir auch das nicht mehr vorstellen können.
    Das wäre der natürliche Ablauf gewesen, doch seit ich mit Jonathan zusammen bin, ist dieser Ablauf irgendwie gestört. Ich komme nicht weiter, ich komme nicht los, vielleicht weil Jonathan wirklich ganz nett ist, vielleicht weil er nicht so nervt wie die anderen, vielleicht weil er mich so schön liebt. So richtig entschieden habe ich mich nicht für ihn. Nur eben auch nicht gegen ihn. Ab und zu gehen wir ins Café, ich kenne meine Sätze, aber ich sage sie nicht, und nach zwei Latte Macchiato sind wir noch immer zusammen, und er ahnt noch nicht mal, wie knapp es wieder war. Und so passt es ganz gut, dass wenigstens Max ab und zu eine SMS schreibt, in der er mich fragt, ob ich gerade ein Höschen trage.
    â€“Ich war übrigens noch nicht fertig. Dein Leben langweilt mich, und wenn du mich fragst, hast du genau zwei Möglichkeiten, um das zu ändern.
    â€“Ich kann mich nicht erinnern, irgendjemanden irgendwas gefragt zu haben.
    Eine kurze Pause erfüllt den Raum, das Herz windet sich verlegen in meiner Brust.
    â€“Ähm … Du hörst mich aber jetzt, das reicht. Das … werte ich einfach mal als Frage.
    â€“Angenommen, ich hätte dich gefragt: Was würdest du denn vorschlagen?
    â€“Du könntest dir ein Kind machen lassen, dann bekommen die Brüste einen anderen Sinn.
    â€“Und die andere Möglichkeit?
    â€“Oder du gibt deine Brüste einfach in ein neues Paar Männerhände. Das würde mal wieder ein bisschen Aufregung ins Leben bringen.
    Bei der Erwähnung eines neuen Paars Männerhände hüpft das Herz in meiner Brust leicht auf. Kurz nur, aber auffällig genug, um sich zu verraten. Wenigstens hat mein Körper endlich aufgehört zu zittern. Ich stehe auf und ziehe mein T-Shirt aus, diesmal ohne in den Spiegel zu sehen. Zum Duschen ist es jetzt zu spät. Mechanisch gehe ich zum Schrank, nehme das oberste Höschen vom Montagsstapel, greife zum passenden BH und ziehe mich langsam an. Ich binde die Haare zusammen und versuche im Bad, mein verschrecktes Gesicht für die Arbeit zu schminken. Dann erst antworte ich:
    â€“Du verstehst aber schon, dass ich darüber noch nachdenken muss?
    â€“…
    â€“Hallo, Herz?!
    â€“Genau das meine ich. Du willst immer erst nachdenken. Immer erst planen. Dauernd schaust du dir selbst beim Leben zu. Je älter du wirst, desto langweiliger wird es für mich.
    Das Herz hat recht. Vor sieben Tagen habe ich meinen dreißigsten Geburtstag gefeiert. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob »gefeiert« das richtige Wort dafür ist, wenn man nach Feierabend fünf Freunde zum Italiener einlädt, ausschließlich Wellnessgutscheine geschenkt bekommt und um kurz nach zehn froh ist, wieder zu Hause auf dem Sofa zu sitzen. Ich habe die Sätze gehört, die alle Menschen an ihrem dreißigsten Geburtstag gesagt bekommen: »Herzlichen Glückwunsch, Wanda. Und, wie fühlst du dich so, mit dreißig? Auch nicht anders als mit neunundzwanzig, oder?«
    Ich hatte genickt und dabei noch nicht mal gelogen. Es war schon der dritte Geburtstag in Folge ohne große Party gewesen, der vierte ohne Fremdknutschen, und seit erschreckenden fünf Jahren hatte ich am nächsten Morgen nicht mehr über der Kloschüssel gehangen. Nein, es hatte sich nicht viel verändert. Ich war nicht schlagartig dreißig geworden. Ich hatte schon mit siebenundzwanzig damit angefangen.
    Ich packe meine Tasche für den Tag und überschlage dabei die Entwicklungen der letzten halben Stunde: ein sprechendes Herz. Die Entdeckung meiner nicht mehr taufrischen Brüste. Ein steckengebliebenes Leben. Und zwei Vorschläge, die sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher