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Kuckucksmädchen

Kuckucksmädchen

Titel: Kuckucksmädchen
Autoren: Eva Lohmann
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noch mal durchsaugt, bevor er abends zu mir ins Bett steigt? Was soll das Theater? Andere Frauen würden sich den kleinen Finger für ihn abhacken. Ich kann sie förmlich riechen, wie sie vor dem Ausgang unserer Beziehung stehen und auf ihn warten. Diese seit ein paar Jahren Dreißigjährigen, diese gerade noch im Saft stehenden, diese die Verzweiflung ahnenden Nestbauerinnen. Wie sie sich die Lippen lecken, das empfängnisbereite Becken vorstrecken und dabei schon eine ziemlich genaue Vorstellung haben vom richtigen Kinderwagenmodell. Sie werden ihn einfangen, sich zwei Kinder machen lassen und ihn für die nächsten fünfzehn Jahre vom Markt nehmen.
    Wie lange hat meine Großmutter gezögert? Hat sie überhaupt gezögert? Wie lange waren meine Großeltern glücklich? Und ab wann waren sie es nicht mehr?
    Meine Großmutter ist für ihren späteren Mann nach Norddeutschland gezogen, von Köln nach Hamburg. Ich erinnere mich, dass ich sie mal gefragt habe, wie das war, als Kölsche Frohnatur in den zurückhaltenden Norden zu kommen. Sie hatte mit den Schultern gezuckt und geantwortet, sie sei eben verliebt gewesen. Jedes Mal aber, wenn sie ihre Heimatstadt besucht hatte und zurückkam, erzählte sie mit einem Strahlen in den Augen davon, dass die Menschen in den Straßenbahnen miteinander geredet hätten, einfach so, ohne sich näher zu kennen.
    Ich weiß genau, wovon sie redet. Ich bin auch in Köln groß geworden. Mein Vater war als Student in die Heimatstadt meiner Großmutter gezogen, hatte sich dort in meine Mutter verliebt und mit ihr ein Leben aufgebaut. Ich wiederum bin nach dem Abitur zum Studieren zurück nach Hamburg gegangen. Die Geschichte meiner Familie spielt sich seit drei Generationen zwischen diesen beiden Städten ab. Köln und Hamburg. Und meine Großmutter war diejenige, die dieser Geschichte ihren Anfang gegeben hat.
    Hat sie sich jemals die gleichen Fragen gestellt wie ich? Und wenn sie sich damals anders entschieden hätte, wer wäre dann mit meinem Großvater in die Fünfzimmerwohnung in Othmarschen gezogen? Vielleicht eine dünne vertriebene Schlesierin mit Strichmund. Oder eine groß gewachsene Lübeckerin mit norddeutschem Dialekt. Hätten diese Frauen auch zwei Söhne geboren? Dann wäre ein anderer Mann mein Vater. Und ich eine andere Tochter.
    Aber mein Großvater hat keine Schlesierin mit Strichmund kennengelernt und auch keine Lübeckerin mit Dialekt gefragt, ob sie zu ihm nach Hamburg zieht. Sondern er hat sich in meine Großmutter verliebt, eine normal große, normal schwere Kölnerin mit schwer zu bändigenden Locken. Und weil sie Ja gesagt hat, sitzt im Wohnzimmer jetzt die rosafarbene Porzellanfigur, die die beiden von ihrem ersten gemeinsamen Urlaub mitgebracht haben. Deswegen liegt in der Küche ein Kochbuch mit neunundneunzig Rezepten für Reibekuchen. Und deswegen steht auf dem Nachttisch meines Großvaters ein gerahmtes Schwarz-Weiß-Foto aus den Sechzigerjahren – von ihm und einer leicht spöttisch lächelnden Frau mit dunklen, etwas zu wilden Haaren.
    Jeden Tag der vergangenen Woche habe ich dieses Bild in den Händen gehalten, habe daraufgestarrt, bin ein paar Schritte durchs Zimmer gelaufen, habe nicht gewusst, wohin damit, nur um es mit einem Seufzen wieder an seinen Platz auf dem Nachttisch zu stellen. Nicht anders ist es mir mit den restlichen Gegenständen in der Wohnung gegangen. Die ganze Woche bin ich durch die Räume gegeistert, habe Teppiche hochgehoben und wieder fallen lassen, Bücher aus dem Regal genommen und dann doch wieder zurückgestellt. Jedes einzelne Ding in dieser Wohnung hatte seit Jahren seinen angestammten Platz, seine eigene Daseinsberechtigung, seine feste Bedeutung im Kosmos meiner Großeltern. Und im Gegensatz zu meinen Großeltern löste sich die Bedeutung der Dinge nicht einfach auf. Sie blieb in der Wohnung und funktionierte wie ein Klebstoff, der das Buch auf dem Regal und den Teppich auf dem Boden hielt. Ich bekam die Bedeutung einfach nicht ab.
    Das Schöne an einem nicht ganz ernst gemeinten freitagabendlichen Beziehungsstreit ist das darauffolgende Wochenende. Wenn man es schafft, überzeugend und langfristig beleidigt zu sein, hat man endlich mal wieder zwei freie Tage und Nächte nur für sich allein, ohne sich dabei ernsthaft einsam fühlen zu müssen.
    Wenn ich das Wochenende mit
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