Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
Vom Netzwerk:
anderen fuhr.
    »Wir haben eine Parallelstrecke zur Prozession eingerichtet, die komplett abgesperrt ist. Außerdem halten wir die Bogengänge auf der West- und der Nordseite frei … Gibt es etwas Neues von Sara Toledano?«
    »Keine Spur«, mußte Bealfeld seufzend zugeben.
    Der Heilige Vater wurde von der Menge, die die letzten Stunden in gespannter Erwartung auf der Plaza Mayor verbracht hatte, mit großem Jubel empfangen. Taschentücher, Fähnchen und Arme wurden in der Luft geschwenkt und erfüllten den von Juan de Herrera angelegten Platz mit einer Fröhlichkeit, die im lebhaften Kontrast zur weitaus düstereren Stimmung in den frühen Morgenstunden stand. Der große Springbrunnen in der Mitte war abgestellt worden, um auf dem Becken einen provisorischen Altar errichten zu können, |26| auf dem die gewaltige Monstranz nun vorsichtig abgestellt wurde. Von dort aus steuerte die Eskorte des Papstes auf die Westfassade des Platzes zu, wobei der Heilige Vater sein Gefährt immer wieder anhielt, um die Gläubigen zu segnen, die ihm hinter den Absperrungen zujubelten.
    Bealfeld hingegen wandte sich der direkt vor dem Rathaus liegenden Ehrentribüne an der Nordseite zu, wo sich Politiker aller Parteien drängten. Er zeigte seine Einladung vor und spähte dann hinüber zu den Plätzen, die für ihn und Sara reserviert waren. Als er die beiden leeren Sitze sah, erklärte er dem Wachmann, daß er den seinen nicht einnehmen werde, weil er neben dem Podium des Papstes Stellung beziehen wolle. Doch zuvor warf der Kommissar noch einen schnellen Blick auf die Sitzreihen. Aus einem unerklärlichen Instinkt heraus, der noch aus seiner Zeit als Sicherheitsbeamter rührte, fiel ihm dabei ein magerer Mann mit einem kantigen Gesicht auf, der ganz in Schwarz gekleidet war und den Blick starr auf den Papst geheftet hielt. Aus irgendeinem Grund überkam Bealfeld ein seltsames Gefühl. Unbewußt sah er hinauf zu den Dächern, wo er zu seiner großen Erleichterung unzählige Scharfschützen entdeckte. Nichtsdestotrotz stellten die begeisterten Menschenmassen auf dem Platz eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar, überlegte sich der Kommissar, während er durch die für die Sicherheitskräfte freigehaltenen Gänge zur Westseite des Platzes eilte, wobei er immer wieder seine Akkreditierungen vorzeigen mußte, damit man ihn durchließ.
    Das Papamobil hatte inzwischen das Podium erreicht, wo zwei der persönlichen Leibwächter dem Heiligen Vater die Stufen hinaufhalfen. Kaum saß er in seinem samtbezogenen Sessel, brachte ein Priester auch schon das hölzerne Lesepult, das zwischen den Armlehnen befestigt wurde. Erneut brandete Beifall auf, als der Papst seine altersmüden Augen über die Menge schweifen ließ, worauf er mit einer Handbewegung um Ruhe bat. Dann wandte er den Kopf zu seinem Sekretär, der ihm die Blätter mit der Rede reichte.
    In umständlichem, aber energisch vorgetragenem Spanisch |27| appellierte er an die beiden gegnerischen Parteien und die Mittler, alles dafür zu tun, daß die bevorstehende Friedenskonferenz von Erfolg gekrönt werde. Er selbst sehe ihr mit Zuversicht entgegen, baue er doch fest auf die Toleranz, für die Antigua, die Stadt der drei Kulturen, von jeher stehe, und er bete zu Gott, daß die Konferenzteilnehmer von diesem Geist beseelt würden. Geschickt leitete er dann zu seinem eigentlichen Anliegen über, das der glänzende Höhepunkt seiner Rede zu werden versprach: der Bedeutung Jerusalems für die Christenheit.
    »Wir dürfen aber nicht vergessen, welch hohen Symbolgehalt für uns Christen der Tempelplatz mit seinen Moscheen hat, wo einst der Tempel König Salomos,
das
Urbild der Kirche, stand …«
    Im selben Augenblick schien er sich unvermittelt zu verhaspeln, was auf dem Platz einen bizarren Widerhall seiner Worte erzeugte, die auf einmal ganz anders klangen als die, welche die Lautsprecher bis dahin übertragen hatten.
    Bealfeld, der seitlich neben dem Podium stand, reichte ein Blick auf Presti, um zu begreifen, daß irgend etwas schieflief. Der Nuntius hatte sich zu dem Sekretär umgedreht, der die Ansprache Seiner Heiligkeit verfaßt hatte. Der Mann war aschfahl und sah ihn schreckerfüllt an. Mit einem Prankenhieb entriß ihm Presti die Kopien mit der Ansprache des Papstes.
    »Ist das die Rede?« herrschte er ihn an.
    »Ja, das ist die Fassung, die an die Presse verteilt worden ist«, stammelte der Sekretär.
    Der Erzbischof überflog die Zeilen. Dem Heiligen Vater stand noch mindestens
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher