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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken
Autoren: Klaus Kordon
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Ermittlungsverfahren abgeschlossen, dann können Sie einen Rechtsanwalt hinzuziehen.«
    Nur ein Bluff? Oder ging es hier wirklich so zu? »Unter diesen Umständen verweigere ich die Aussage.«
    »Und wie lange wollen Sie das durchhalten? Wenn Sie nicht mitarbeiten, lasse ich Sie sofort in Ihren Verwahrraum zurückbringen. Irgendwann – und sollte es nach Monaten oder Jahren sein – werden Sie klüger geworden sein.«
    »Sie haben mir noch keinen Haftbefehl gezeigt.«
    »Keine Angst! Den werden Sie schon noch zu sehen bekommen. In Kleinigkeiten sind wir sehr genau.«
    Ein Blick zu Honecker hoch. Gefällt dir das, Erich? Warst doch auch mal Häftling, macht es Spaß, uns zuzusehen?
    »Jetzt sind Sie beeindruckt, was?« Der Klassensprecher spielte mit seinem Kugelschreiber. »Seien Sie doch vernünftig, Mann! Die Strafprozessordnung garantiert Ihnen das Recht auf aktive Mitwirkung am Strafverfahren. Aber natürlich müssen Sie dieses Recht auch wahrnehmen wollen, indem Sie bereit sind, umfassend und zusammenhängend auszusagen.«
    Jemand klopfte. Der Klassensprecher stand auf und öffnete die schalldämmend gepolsterte Tür, die nach innen aufging, so dass Lenz den, der nun dem Klassensprecher etwas zutuschelte, nicht sehen konnte.
    Die Septembersonne hinter dem Fenster. Diese Helligkeit! Lenz spürte, wie sich alles in ihm zusammenzog. Er hatte darauf vertraut, einen Rechtsanwalt sprechen, sich beraten lassen zu dürfen. Nun war er ganz und gar auf sich selbst gestellt, musste sein eigener Berater sein …
    Die Tür wurde geschlossen, die Vernehmung ging weiter. »Sie sollten auch an Ihre Kinder denken. Es hängt ganz von Ihnen ab, wann Sie sie wiedersehen.«
    »Wo sind meine Frau und die Kinder denn überhaupt? Wo haben Sie sie hingebracht?« Verdammt, das hatte schuldbewusst, vielleicht sogar weinerlich geklungen, und solche Töne hatte er doch vermeiden wollen …
    Der Klassensprecher schüttelte den Kopf. »Sie, der Sie uns so wenig entgegenkommen, verlangen von uns Auskünfte?«
    »Muss ich erst ein paar Verbrechen gestehen, bevor Sie mir sagen, was Sie mit meiner Frau und meinen Kindern gemacht haben?«
    »Was soll das denn heißen?« Jetzt wurde er zornig, der nette junge Mann mit dem lockigen Haar. »Bei uns muss niemand eine Tat gestehen, die er nicht begangen hat. Und die Unterstellung, wir hätten mit Ihrer Frau und Ihren Kindern irgendwas ›gemacht‹, verbitte ich mir. Sie allein haben Ihre Familie ins Unglück gestürzt. Ist Ihnen das immer noch nicht klar geworden?«
    Das Fenster, der schöne Spätsommertag! Lenz hätte so gern über alles geredet. Doch es ging ja nicht nur um ihn, es ging auch um Hannah und die Kinder. Vor allem um die Kinder! »Ich bleibe dabei. Lassen Sie mich einen Rechtsanwalt kontaktieren und ich bin bereit auszusagen.«
    »Na, dann müssen wir das wohl so ins erste Protokoll aufnehmen.«
    »Bitte.«
    Es dauerte nicht lange, dann war dieses erste, per Hand geschriebene Protokoll zu Papier gebracht. Lenz betrachtete einen Moment lang die noch nicht sehr ausgereifte Handschrift seines Vernehmers, dann unterschrieb er. Die letzten beiden Sätze lauteten: »Dieses Protokoll entspricht in allen Teilen der Wahrheit. Meine Worte sind darin richtig wiedergegeben.« Eine Floskel! Er hatte nichts ausgesagt, wie sollten seine Worte falsch wiedergegeben sein?
    Auch der Klassensprecher unterschrieb das Papier. Dabei schirmte er mit der linken Hand die rechte ab, damit Lenz seinen Namen nicht lesen konnte. Schien eine Art ungeschriebenes Gesetz zu sein: Keinen einzigen Namen sollst du erfahren, nicht von den Wachmannschaften, nicht von den Vernehmern. Aber na klar: Anonymität verunsichert! Und kommst du irgendwann hier raus, kannst du nur Typen beschreiben.
    Ein Griff zum Telefonhörer, ein paar Worte gemurmelt, und nur wenige Minuten später klopfte ein kleiner, kugelköpfiger Unterfeldwebel mit schütterem Oberlippenbärtchen, um Lenz mit mürrischem Gesicht hinauszuwinken.
    Sollte er sich verabschieden? Oder schickte sich das an einem solchen Ort nicht?
    Lenz beschloss, auf jede Grußformel zu verzichten. Er erhob sich, als hätte er in der vergangenen Stunde einem leeren Schreibtisch gegenübergesessen, und folgte dem eiligen Kugelkopf durchs Treppenhaus und die Zellenflure in seine Zelle zurück. Die beiden Riegel schnappten, zweimal der Schlüssel herumgedreht und er war wieder mit sich allein.
    Stille umfing ihn, ihm wurde kalt. Am Abend zuvor, aus bulgarischen Gefängnissen
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