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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken
Autoren: Klaus Kordon
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ihm zu und noch eine.
    In einem kleinen, an ein Wachbüro erinnernden Raum musste er Portemonnaie und Papiere, Gürtel, Uhr und Schnürsenkel abliefern. Er stellte Fragen, man deutete ihm an, dass man kein Deutsch verstand. Er wollte weiterfragen, verkniff es sich aber: Wozu sich lächerlich machen?
    Als er alles abgeliefert und einen Zettel unterschrieben hatte, auf dem in bulgarischer Schrift seine beschlagnahmten Habseligkeiten aufgezählt waren, führte ihn ein uniformierter Beamter einen langen, feuchtwarmen, nur schwach beleuchteten, muffig stinkenden Kellergang hinunter. Es schnürte Lenz die Kehle zu, nur wie mechanisch ging er mit. Alles in ihm strebte zurück, ans Licht, an die Luft, raus aus diesen Katakomben. »Ich will einen Rechtsanwalt sprechen«, verlangte er mit heiserer Stimme. »Haben Sie verstanden? Einen Rechts-an-walt!« Der Uniformierte, ein gemütlich in sich hinein lächelnder, schon etwas älterer Schwejk mit Äuglein wie Holunderbeeren, nickte nur freundlich. Lenz aber wusste noch nicht, dass Nicken in Bulgarien nichts anderes als Nein bedeutete und dieser Schwejk damit wohl nur ausdrücken wollte, dass er kein Deutsch verstand. »Sofort!«, fügte er in nachdrücklichem Tonfall hinzu und erntete erneut ein freundliches Kopfnicken.
    Da nahm ihm die Angst die Luft. Um Zeit zu gewinnen, bat er, auf die Toilette geführt zu werden.
    Das Wort »Toilette« verstand der bulgarische Schwejk. Er führte Lenz in einen übel stinkenden Raum mit Löchern zum Hineinscheißen in den Fliesen – den Lenz von Freunden angekündigten berühmt-berüchtigten bulgarischen Hockklos – und einer geteerten Pissrinne, an die Lenz sich schließlich stellte, die Augen schloss und gegen die Lähmung ankämpfte, die ihn erfasst hatte. Er verspürte keinen Harndrang; es war eine alberne Flucht vor der Wirklichkeit, die er da angetreten hatte. Als könnte er mit diesen zwei Minuten Atempause irgendetwas abwenden.
    Wieder versuchte er, seine Gedanken zu ordnen: Wieso hatte man sie jetzt schon verhaftet? Wo war Fränze? Und wie sollte nun alles weitergehen? Verdammt noch mal, er musste einen Anwalt sprechen! Irgendwann musste doch mal jemand kommen, der Deutsch konnte. Vielleicht dieser Bilderbuchbulgare … Doch was, wenn die keinen Anwalt riefen? Sollte er verlangen, die Botschaft sprechen zu dürfen? Aber welche? An die westdeutsche würden ihn die Bulgaren kaum vermitteln und was durfte er denn von irgendwelchen DDR-Behörden erwarten? Und Hannah und die Kinder, was sollte inzwischen aus ihnen werden, wo würde man sie hinbringen? Etwa auch in ein Gefängnis?
    Der Schwejk hinter ihm ahnte, wie ihm zumute war. Begütigend redete er auf ihn ein. Lenz hatte in der Schule Russisch gelernt und Bulgarisch war eine verwandte Sprache, dennoch verstand er nur ein einziges Wort: »Tualet« – Toilette. Wollte der ihm sagen, dass er nicht ewig auf der Toilette bleiben konnte?
    Weiter ging es den Kellergang hinab, bis das unebene, an mittelalterliche Verliese erinnernde Mauerwerk sich nach links und rechts öffnete und schwere, graue Zellentüren sichtbar wurden. Der Schwejk stieß einen Schlüssel in das Schloss einer der Türen und zog einen mächtigen Riegel zurück. Knarzend öffnete sich die Tür und im trüben Dämmerlicht einer nur schwach funzelnden, über der Zellentür angebrachten Glühbirne starrten drei kahlköpfige und bis auf ihre schmutzigen Unterhosen nackte Männer Lenz entgegen. Der Schwejk wies hinein, Lenz machte zwei, drei Schritte – und die Tür fiel hinter ihm zu. Er hörte, wie der Riegel vor die Tür geschoben wurde, hörte den Schlüssel im Schloss und konnte sich vor Entsetzen kaum rühren. Wo war er hier? Das war doch kein Gefängnis, das war ein Ort der Verdammnis. Hausten hier unten so gemeingefährliche Verbrecher, dass man sie wie Tiere halten musste?
    Er wagte nicht, sich den drei ihm irr erscheinenden Gestalten zu nähern, lehnte sich nur an das grob verputzte Mauerwerk und sah sie an. Die drei jedoch traten auf ihn zu, gaben ihm nacheinander die Hand, lächelten freundlich und zeigten auf die beiden Matratzen, das einzige Mobiliar in diesem fensterlosen Verlies.
    Er sollte sich hinsetzen? Vorsichtig folgte Lenz der Einladung und sie hockten sich neben ihn und stellten sich ihm vor. Aufatmend erfuhr er, dass man ihn nicht mit irgendwelchen Psychopathen zusammengesperrt hatte. Kahl geschoren waren die drei, weil das in bulgarischen Gefängnissen aus hygienischen Gründen so üblich war, in
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