Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken
Autoren: Klaus Kordon
Vom Netzwerk:
waren.
    Hellwach starrte er zu der Glühbirne über der Tür hoch, die auch in der Nacht nicht ausgeschaltet wurde, lauschte er auf Stojans röchelnden Atem und Nentschos lautes Schnarchen und hielt sich an dem kurzen Gespräch fest, das er am Abend, als sie zum Waschen und zur Toilette geführt wurden, mit dem holunderbeeräugigen Schwejk geführt hatte. Wo seine Frau und seine Kinder hingekommen wären, hatte er wissen wollen, und wie lange er noch hier bleiben musste.
    Auf die erste Frage hatte der müde blinzelnde Schließer zur Antwort mal wieder nur genickt, die zweite hatte er mit »Sofia« und »Morgen« beantwortet. Das Letzte hatte er sogar auf Deutsch gesagt.
    Er hatte noch zweimal nachgefragt, um sicherzugehen, den Mann nicht falsch verstanden zu haben, die Antwort jedoch blieb die Gleiche. Da hatte er zum ersten Mal ein bisschen aufgeatmet. Überall war es besser als hier. Und ganz bestimmt würde er in Sofia erfahren, wo man Hannah, Silke und Micha hingebracht hatte. Jetzt, in der Nacht, den Blick auf die funzelnde Glühbirne gerichtet, rief er sich diese Waschraumszene gebetsmühlenartig immer wieder vor Augen, wie um sich selbst zu bestätigen, dass er den Mann nicht falsch verstanden hatte. Bis er mit einem Mal aufschreckte: Hatte da nicht eben eine Frau geschrien? Aber ja doch, schon wieder! In einer der Nachbarzellen musste eine Frau sein, sie schrie sehr laut – und sie schrie auf Deutsch! »Ich will hier raus!«, tönte es durch den Zellengang. »Ich will hier raus!« Und dann noch einmal, laut aufschluchzend: »Ihr Verbrecher! Lasst mich doch raus!« Und Fäuste polterten gegen eine Zellentür.
    Pepek öffnete nur ein Auge. »Jede Nacht.«
    Jede Nacht? Die Frau schrie jede Nacht? Dann konnte sie nicht Hannah sein, deren Stimme Lenz ja auch sofort erkannt hätte. Aber wer sagte ihm denn, dass diese Frau nicht Franziska war? Hätte er ihre Stimme ebenfalls gleich erkannt? Und Fränze hatte ja schon seit Tagen im Land sein wollen. Hastig fragte er Pepek, ob er die Frau schon mal gesehen habe. »Vielleicht am Vormittag, während der Freistunde, von der du mir erzählt hast? Eine große blonde Frau, Mitte dreißig, die Haare kurz geschnitten, fast schon Igel?«
    Pepek jedoch hatte die Frau noch nicht gesehen, grinste nur und legte beide Hände auf seine Brust. Ob diese Blonde einen großen Busen hatte?
    Lenz antwortete nicht, starrte nur wieder zu der Glühbirne hoch. Wenn diese Deutsche schon länger hier festgehalten wurde, wie konnte er darauf vertrauen, nach nur einem Tag und einer Nacht von hier fortzukommen? Wusste er denn, was der Schwejk verstanden hatte, als er ihn fragte?
    Wieder schrie die Frau und diesmal hörte Lenz ihren sächsischen Dialekt heraus. Also war es nicht Fränze; es war eine Frau, die aus ähnlichen Gründen einsaß wie Pepek und er und die genau wie Pepek schon seit vielen Tagen nicht aus diesem Schwitzkasten herausgekommen war. Wie dumm von ihm, diesem Schwejk zu vertrauen; vielleicht hatte der ihn nur beruhigen wollen.
    Es stürzte wieder alles über Lenz zusammen, er atmete hastiger und schloss die Augen. Die Frau aber schrie noch öfter. Sie schrie und schrie, sie wolle hier raus, es sei ja alles nur ein Irrtum.
    »Irrtum«, flüsterte Pepek das deutsche Wort vor sich hin, das er nur wenige Stunden zuvor schon einmal gehört hatte. Und dann kicherte er leise: »Irrtum! Irrtum – Irrtum! Alles Irrtum!«
    Lenz ging dann aber doch auf Transport. Zusammen mit einem anderen Deutschen, einem langen, dürren Kerl mit ironisch blinzelnden Augen hinter der schon arg verbogenen Nickelbrille, fuhren sie ihn gleich nach der Morgensuppe, die er nicht hinunterbekommen hatte, so fremdartig hatte sie gerochen, zum Bahnhof zurück. Zwei der Männer vom Wachpersonal bestiegen mit ihnen ein reserviertes Abteil und befahlen ihnen, nicht miteinander zu reden.
    Es war ein Bummelzug, der sie nach Sofia bringen sollte. Endlos lange bewegte er sich durch die sonnige Landschaft, an jedem Bahnhof hielt er. Neugierig sahen die Fahrgäste durch die Abteilfenster zu den beiden Eskortierten hin und Lenz lächelte ihnen öfter mal zu. Sicher hielten all diese verwittert aussehenden bulgarischen Bauern, alten Muttchen und jungen Frauen, die Kinder, abgeschabte Koffer, Körbe oder Säcke mit sich herumschleppten und oft nur von einem Ort in den nächsten wollten, den Langen und ihn für zwei ganz hart gesottene Verbrecher. Gut, dass die Polizei sie endlich gefasst hatte!
    Auch der Lange lächelte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher