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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht
Autoren: Willi Faehrmann
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Schieblehre nach. Als Kristina ihre halbe Stunde geübt hatte und endlich die übliche Schlussmelodie spielte, war Großmutter noch immer dabei, mit Großvaters altem Rasiermesser winzige, sich ringelnde Millimeterstreifen von den Fotos abzuschneiden.
    »Warum tust du das?«, fragte Kristina.
    »Sie haben die Donatkas vor ein paar Tagen aus dem Amt weggeschickt. Alles sei in Ordnung, haben sie gesagt. Nur die Passbilder hätten nicht das vorgeschriebene Maß.«
    Ein schriller Pfiff gellte von der Straße herauf. Wolf blaffte kurz. Kristina stand auf.
    »Warum willst du nicht begreifen, dass es zwecklos ist? Sie werden deine Anträge nicht genehmigen.«
    »Sie müssen! Es ist unser Recht.«
    »Kein Mensch muss müssen«, orakelte Kristina. »Und der Staat erst recht nicht.«
    Wieder ertönte der Pfiff. Wolf drängte seinen Kopf an das Fenster und bellte nun drei-, viermal.
    »Was kläfft der Hund?«, fragte Großmutter. »Er wird immer verrückter.«
    »Basia pfeift«, sagte Kristina. »Wir wollen noch für die Mathearbeit üben.«
    »Ein Mädchen sollte nicht pfeifen«, tadelte Großmutter. Aber gegen das gemeinsame Lernen mit Basia hatte sie nichts. Basia war in Mathematik ein As.
    »Nimm Wolf mit, Kristina, er war heute den ganzen Tag noch nicht draußen.«
    »Das geht nicht, Großmutter.« Kristinas Stimme klang ärgerlich. Immer hatte sie den Köter an der Schleppe.
    »Geht nicht, geht nicht!«, schimpfte Großmutter. »Damals als Onkel starb und niemand wusste, wohin mit dem Tier, da . . .«
    »Ja, Großmutter. Ich weiß. Aber mit Wolf kann ich bei Basia zu Hause nicht landen. Dritte Etage. Zweieinhalb Zimmer. Du weißt doch.«
    »Ja, ja, ich weiß alles. Aber dass der Hund an die Luft muss, das weiß ich auch.«
    Wolf stand bereits an der Tür und jaulte leise. Kristina aber fuhr ihn an: »Geh auf deinen Platz, hörst du?«
    Er schlich zurück, den Kopf gesenkt.
    Sie ging.
    »Wenigstens ›auf Wiedersehen‹ könntest du sagen«, rief Großmutter hinter ihr her.
    »Na endlich«, sagte Basia. »Beinahe wäre ich ohne dich gegangen.«
    »Hast du es so eilig mit der Mathe?«
    »Ach, was redest du? Für Mathe ist heute keine Zeit. Wir müssen zum Jugendclub.«
    »Wie stellst du dir das vor? Morgen steigt die Mathearbeit. Ich habe keine blasse Ahnung, wie ich es ohne deine Hilfe schaffen soll.«
    »Aber wer sagt denn das? Morgen ist morgen. Ich werde dir schon Basias erste Hilfe zukommen lassen.«
    »Ich weiß nicht, Basia. Wenn der Kupinski uns schnappt, dann bin ich geliefert.«
    »Er wird niemand schnappen. Und nächste Woche erkläre ich dir genau, was der Faulpelz, der sich Lehrer nennt, nicht verständlich machen kann.«
    »Mist. Wenn du wüsstest, wie aufgeregt ich jedes Mal bin, wenn wir eine Arbeit schreiben. Mein Magen sticht und mir wird richtig schlecht. Und warum paukst du nicht mit mir? Weil du in den öden Jugendclub willst.«
    »Na, hör mal! Sag nur, du weißt nicht, was da heute los ist?«
    »Vielleicht liest Andrzej Gedichte vor?«, spottete Kristina.
    »Lass Andrzej in Ruhe. Seine Gedichte sind gut.«
    Basia war eingeschnappt. Kristina gab insgeheim zu, dass Andrzej Gedichte erfand, die ihr gefielen. Aber sie war wütend auf Andrzej. Seit Basia Andrzej entdeckt hatte, war ihre Zeit eng bemessen.
    »Ich habe fest damit gerechnet, dass wir heute arbeiten«, sagte sie verdrossen.
    »Für morgen ist eine Fahrt in die Wälder geplant, Kindchen.«
    Kristina horchte auf. »In die Wälder?«
    »Ja. Der Tischtennisclub hat Gäste aus der Stadt. Sie wollen einen Abend am See verbringen. Wir werden eingeladen.« Kristina kam die Vorbereitung der Mathearbeit schon weniger dringend vor.
    »Und morgen in der zweiten Stunde hilfst du mir?«
    »Aber ja. Leocardia wird um zehn einen ihrer bewährten Schwindelanfälle bekommen. Und Kupinski stürzt zu ihr und schon ist Basias Notdienst in deiner Hand.«
    »Und was verlangt Leocardia diesmal für ihre Dienste?«
    »Sie wird allmählich unverschämt. Aber sie hat versprochen, dass sie für zehn Zigaretten einen ganz schönen Anfall bekommt.«
    »Dass man auf so etwas angewiesen ist!«
    »Na ja.«
    Sie bogen von der Hauptstraße der kleinen Stadt ab. Über einen Schotterweg erreichten sie nach ein paar hundert Metern den Jugendclub, einen gelben, zweistöckigen Kasten, von dem der Verputz abzuplatzen begann. In der Eingangshalle hockten einige Jugendliche herum. Kristina entdeckte ihren Bruder Janec und winkte ihm zu.
    »Na endlich«, wurden die Mädchen von einem
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