Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht
Autoren: Willi Faehrmann
Vom Netzwerk:
Mathematikstudenten in der Stadt. Ihr Vater kann so etwas bezahlen. In der Mathe klappte es dennoch nicht. Wer weiß, was er ihr beibrachte. Einige besuchten einen Abendkurs. Die meisten waren auf unerlaubte Hilfe angewiesen. Kupinski machte es ihnen leicht. Ein guter Zensurendurchschnitt ist auch gut für den Lehrer.
    Nur Andrzej schrieb stur seine Sechsen. Er konnte es sich erlauben. Er stand in allen anderen Fächern ganz oben. »Ich kann Ihre Mathematik nicht verstehen«, das war alles, was er bei der vorigen Arbeit in das Heft geschrieben hatte. Kupinski hatte eine Mordswut auf ihn.
    »Es ist Nebel heute«, sagte die Großmutter.
    Wie in meinem Kopf, dachte Kristina. Ich verstehe gar nichts. Warum kapiere ich das nicht, verdammt?
    Sie würgte immer noch an der ersten Scheibe. Ihren Magen spürte sie wie einen harten Stein im Leib.
    »Du solltest einen Schal nehmen.«
    Verrückter Gedanke – im Sommer einen Schal, dachte Kristina. Aber jetzt nur keinen Streit mit Großmutter. »Wenn du meinst«, sagte sie.
    Großmutter ging ins Schlafzimmer, um den Schal aus dem Schrank zu nehmen. Kristina warf Wolf den Rest ihres Brotes zu. Der Hund verschlang es gierig. Hoffentlich merkte Großmutter nicht, dass Wolf sich den Honig mit langer Zunge aus dem Bart leckte. Die zweite Scheibe schlug Kristina behände in ein Stück Papier und ließ sie in der Schultasche verschwinden. Die Milch schüttete sie in den Topf zurück.
    »Nimm diesen«, sagte Großmutter und reichte ihr den Winterschal.
    Na ja. In der Tasche war ja genug Platz.
    »Genug Tinte im Füller?«
    »Ja.«
    »Auch das Lineal und den Zirkelkasten?«
    »Ja, Großmutter, alles ist da.«
    »Und streng dich an.«
    »Klar. Mach ich.«
    »Du weißt ja, du lernst nicht für mich.«
    »Ja, ja, Großmutter, ich weiß.«
    Kristina gab ihr den üblichen flüchtigen Kuss und Wolf einen Klaps zwischen die Ohren. »Tschau«, sagte sie.
    »Lass diese Modewörter! Sprich deutsch. Auf Wiedersehen.«
    In der Schule ging es gleich los. Bis halb elf hatten sie Zeit. Als es Leocardia mit dem Glockenschlag zehn schlecht wurde, hatte Kristina noch keine einzige Aufgabe gelöst. Basias Zettel kam. Aber Abschreiben ist auch eine Kunst. Kristina würde es nie so perfekt lernen wie Klara. Die machte zunächst ein ratloses, zergrübeltes Gesicht, Schweiß stand ihr auf der Nase. Dann erhellte sich plötzlich ihre Miene. Sie schlug sich gegen die Stirn und schrieb. Ab. Aber der Lehrer hatte jede Phase des Brütens, Dämmerns und der Erleuchtung eindrucksvoll miterleben können. Schließlich sammelte Kupinski die Hefte ein.
    »Jetzt erst mal rauchen«, seufzte Leocardia und ging mit Basia und Kristina über den Hof zum Toilettengebäude. Die Mädchen hatten eine einfache und sichere Methode entwickelt das strenge Rauchverbot zu umgehen und nicht aufzufallen. Vom Hof aus gelangte man zunächst in den Waschraum. Eine automatisch schließende Tür führte in den schmalen, langen Flur mit den Toilettenkabinen. War nun die Hausmeisterin auf der Jagd nach Rauchsündern, dann wurde sie bereits im Waschraum von allen gerade anwesenden Mädchen mit einem lauten »Guten Tag, liebe Frau Warczak« begrüßt. Dieser Warnruf ließ den Raucherinnen in den Kabinen genügend Zeit die blauen Dunstwolken wegzufächeln und die Zigarettenreste abzuspülen.
    »Strengt an, so ein Anfall, was?«, spottete Basia.
    »Macht mir gar nichts aus.«
    »Dann sind zehn Zigaretten eine gute Bezahlung.«
    Sie traten in den Waschraum. Leocardia riss die Packung auf und zündete sich eine Zigarette an. Ihre Lungenzüge zeigten die geübte Raucherin.
    »Brauchst ja nicht zu zahlen«, sagte sie und ging durch die Tür. Sie lief der Frau Warczak genau in die Arme. »Endlich habe ich eine erwischt!«, rief sie.
    Basia lachte und verschwand.
    »Komm, du!«, sagte Frau Warczak und griff Kristina beim Ärmel. »Komm du als Zeugin. Sonst bestreitet die noch alles.«
    »Aber werte Frau Warczak«, sagte Leocardia und knipste die Glut von der Zigarette. »Sie müssen doch verstehen . . .«
    »Nichts will ich verstehen! Dauernd die Asche hier auf dem Boden, ich bin das leid.«
    »Aber ich war von der Mathematikarbeit total fertig, werte Frau Warczak. Sie als gebildete Frau wissen doch, wie das ist.«
    Kristina verkniff sich das Lachen. Leocardia wusste genau, wie Frau Warczak herumzukriegen war. Schon wurde sie weich. Leocardia wollte die Entwicklung beschleunigen und fügte hinzu: »Ich hatte wieder einen Anfall. Da brauchte ich das.« Doch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher