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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht
Autoren: Willi Faehrmann
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Einige summten mit. Schließlich scharte sich die Gruppe um den Wagen und sang: Sweet Chariot.
    Kristina trat wieder zurück neben Andrzej. Witold übertönte den Beifall und schlug einen Wirbel. Jetzt merkten die meisten, welche Kraft die Sonne des Indianersommers noch hatte. Sie kühlten sich Arme und Gesichter im Wasser des Sees und lagerten sich um Klaras Picknickplatz, aßen ein wenig und tranken. Andrzejs Apfelsaft schmeckte. Es dauerte nicht lange, bis seine Flaschen leer waren.
    Die Gäste aus der Stadt führten das große Wort. Sie spielten immer wieder auf ihren hohen Tischtennissieg am Vorabend an. Nur im Doppel hatte die Mannschaft des Jugendclubs gewinnen können. Kristina hatte es schon auf dem Wagen gespürt: Die aus der Stadt passten nicht zu ihnen.
    »Wo habt ihr die aufgetrieben?«, fragte sie Andrzej.
    »Die verdanken wir Stanek Donatka. Er kannte die Mannschaft noch von früher.«
    Die Familie Donatka war vor etwa zwei Jahren aus der Kreisstadt zugezogen. Ein paar Tage lang war Stanek mit seiner Schwester Janina in ihrer Klasse gewesen. Keinen Ton hatte er von sich gegeben. In Kupinskis Stunde war er dann aufgestanden und hatte gesagt: »Ich habe es satt. Schule, das ist nichts für mich. Ich mache Schluss.«
    Mit einer heftigen Bewegung hatte er aus der Brusttasche seines Hemdes einen Brief gezogen, warf ihn achtlos auf das Pult und ging.
    »Macht’s gut«, hatte er gesagt, bevor er die Tür hinter sich schloss. Über den ängstlichen Zuruf seiner Schwester »Bleib doch!« lachte er nur.
    »Spielen können die, sag ich dir«, verteidigte Andrzej die Gäste. »Unheimlich hart dreschen die den Ball. Du siehst nur einen weißen Strich. Vorhand, Rückhand. Und immer mit Pfund.«
    »Bilden sich auch eine Menge drauf ein«, sagte Kristina.
    »Na ja, gegen den, der da drüben am Baum lehnt, habe ich haushoch verloren. Ich konnte so scharf schneiden, wie ich wollte, das machte ihm gar nichts aus.«
    »Hör auf, Andrzej. Ich verstehe nichts von Tischtennis.« Sie sah, wie eine Schnapsflasche kreiste. »Ich möchte ein Stück laufen«, sagte Kristina.
    Basia, die schon mit langen Ohren zu den beiden hinübergelauscht hatte, rief: »Das ist eine gute Idee. Wir laufen rund um den See.«
    »Kratz uns! Um den See!«, rief der mit der Schnapsflasche.
    »Ihr spinnt wohl?«
    »Brauchst ja nicht mit«, erwiderte Basia. Sie stand auf und ging los. Kristina winkte Janec. Der räkelte sich unwillig, sprang aber dann doch auf und lief mit. Andrzej hatte Basia bereits eingeholt. Auch Janina wollte sich anschließen. Doch Stanek fasste sie am Arm und sagte: »Passen dir wohl auch nicht, meine Freunde aus der Stadt? Feine Dame geworden, was?« Er riss sie zu sich herunter.
    »Lass mich, du Grobian«, fauchte sie. Aber sie blieb sitzen. Kristina ärgerte sich über Stanek. Er verwirrte sie, seine Wildheit stieß sie ab und zog sie zugleich an.
    Unter Basias Führung ging die Gruppe los. Ein schmaler Pfad führte sie meist nur wenige Meter am sandigen Ufer entlang. Die lange Trockenheit hatte den Wasserspiegel gesenkt. Dort wo Schilffelder das offene Wasser säumten, bog der Pfad von den sumpfigen Stellen zum lichten Wald hin ab. Sie gingen eine Weile schweigend und schnell.
    »Wie lange läuft man um den See?«, fragte Andrzej.
    »Eine gute Stunde, wenn wir so weiterrennen«, antwortete Basia und verlangsamte den Schritt, »und so eineinhalb Stunden«, lachte sie.
    »Bitte anderthalb«, rief Janec und tat, als ob er sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirne wische.
    »Es ist hier fast so, wie es bei Onkel Konrad an den Masurischen Seen war«, sagte Janec.
    »Wisst ihr eigentlich, dass Janec damals beinahe ein Zigeuner geworden wäre?«, fragte Kristina.
    »Ist es immer noch ein bisschen, nicht?«, neckte Basia ihn.
    »Nein, nein«, sagte Janec. »Kristina meint das wirklich. Das war nämlich so. Ich war vielleicht vier Jahre alt. Damals lebte mein Vater noch bei uns. Er hat mich zu Onkel Konrad gebracht. Heute weiß ich, dass die beiden schon zu der Zeit besprachen, wie sie wohl in den Westen gelangen könnten.
    Wir blieben zwei Wochen. Es war im Spätsommer. Tante Rosa hatte mich nach dem Mittagessen in den Schatten der großen Kastanie gesetzt. Ich war eingeschlafen. Ich wurde erst wach, als ein Huhn dicht neben mir im Boden scharrte und mir den Dreck ins Gesicht schleuderte. Laut gackernd stob es davon, als ich mich bewegte, und machte mich durch sein Geschrei vollends munter. Ich war allein im Hof. Das
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