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Kriegsenkel

Kriegsenkel

Titel: Kriegsenkel
Autoren: Sabine Bode
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Kriegsgefangenschaft gebrochenen Mann. Bis in die späten fünfziger Jahre hinein war ihre Familie arm. All das führte in ihrem späteren Leben, wie Gabriele Heinen heute weiß, zu einer ausgeprägten Stressanfälligkeit.
    Die Pfarrerin betont, sie sei nicht nur protestantische Theologin, sondern vor allem auch feministische Theologin. In den siebziger Jahren hatte sie die ersten Tagungen dazu auf den Weg gebracht. An der Unruhe, die durch die feministische Theologie in die evangelische Kirche eindrang, war sie maßgeblich beteiligt. Darauf ist sie bis heute stolz. Als sie heiratete, war sie noch Studentin. Ihr Mann, ebenfalls Theologiestudent, bekam zuerst eine Pfarrstelle, obwohl sie eindeutig die besseren Examensnoten hatte. Sie fühlte sich diskriminiert und setzte sich heftig zu Wehr. So erwarb sie sich schon früh den Ruf einer streitbaren Kollegin. Für ihren Mann bestätigte sich im ersten Pfarrerjahr, was er schon während seiner Ausbildung als Vikar empfunden hatte: Er war für die Arbeit in der Gemeinde einfach nicht gesellig genug. Im Grunde empfand er sich als Privatgelehrter. Er wollte forschen und veröffentlichen. Daher meldete er der Kirchenleitung, er würde seine Pfarrstelle gern an seine Frau weitergeben, und so geschah es.
    Ungewöhnliche Rollenverteilung
    Eigentlich wollte Gabriele Heinen keine Kinder haben, weil sie wusste, wie schwer es für Frauen war, einen anstrengenden Beruf mit der Mutterrolle in Einklang zu bringen. Aber dann [293] wuchs der Kinderwunsch und sie bekam mit 28 Jahren ihren Sohn. Die Schwangerschaft habe sie sehr genossen, erzählt sie, auch die ersten Wochen mit ihrem Kind. Damals durften berufstätige Frauen, die entbunden hatten, nur acht Wochen ihrer Arbeit fern bleiben. Elterngeld gab es nicht.
    Pfarrerin Heinen sorgte für das Familieneinkommen, sie musste es und sie wollte es. Während des ersten halben Jahres ließen sich Mutterschaft und Beruf noch recht gut vereinbaren. »Mein Kind hatte sich meinem Rhythmus angepasst. Es schlief tagsüber viel und war abends lange wach«, erzählt sie. »Wir hatten also die schönen gemeinsamen Abende.« Durch verschiedene Faktoren, die hier nicht weiter erwähnt werden, stieg die Arbeitsbelastung in der Gemeinde. Neue Aufgaben waren hinzugekommen. Gabriele Heinen beschreibt es als einen schleichenden Prozess. »Man merkt es erst nicht, dass man chronisch überlastet ist. Aber die Familie merkt es. Vor allem litt sie, weil ich zu Hause häufig in abwesende Zustände geriet. Ich war dann emotional nicht erreichbar.« Lange Zeit konnte sie entsprechende Klagen ihres Mannes nicht nachvollziehen. Sie dachte: Ich tue doch, was ich kann. Warum reicht ihm das nicht? »Erst viel, viel später«, erläutert sie mir, »wurde mir bewusst: Wenn ich Stress hatte, wenn ich mich beruflich überlastet fühlte, bin ich sozusagen verschwunden – aber nur zu Hause, nicht während der Arbeit. Ich war nicht etwa mit meinen Gedanken ganz woanders, sondern ich hielt mich im Nirgendwo auf. Man merkt es selbst nicht, und man glaubt es nicht, wenn andere es sagen. Darum kann man es auch nicht abstellen.«
    Gabriele Heinen spricht in ihrem Fall von einem inneren Spaltungsprozess und erklärt mir den unbewussten Vorgang so: Da gab es das Ich der berufstätigen Frau, das gut funktionierte und sich auch weiter entwickelte. Pfarrerin zu sein empfand sie als Berufung. Als Seelsorgerin war sie sehr gefragt, vor allem auf Grund ihrer Wärme und ihres Einfühlungsvermögens [294] . »Aber der andere Teil, das andere Ich, ist bei Stress immer in Panik geraten«, berichtet sie. »Und diesen Teil hat leider meine Familie abbekommen.« Von der leichten Seite des Lebens kannte sie früher zu wenig. Sie konnte sich nicht gut entspannen und empfand eine regelrechte Abneigung gegen Spiele. Erst viel später, als Großmutter, lernte sie, wie vergnüglich und erholsam Karten- und Brettsspiele mit Kindern sein können.
    Ihr unverarbeitetes Trauma belastete den Sohn
    Auch wurde ihr von der Familie vorgehalten, sie sei oft unbegreiflich kühl und distanziert. »Aber ich fand den Vorwurf ungerecht«, sagt sie. »Ich konnte das damals nicht sehen, weil ich wusste, es stimmt nicht. Das Gegenteil wurde mir in meinem Berufsalltag ja immer wieder bestätigt. Dort hatte ich einen beruhigenden Einfluss auf Menschen.«
    Darüber hinaus erfahre ich von Gabriele Heinen, sie sei über lange Zeit immer wieder depressiv gewesen – »aber funktionierend depressiv, sehr zuverlässig, nicht
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