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Krieger der Stille

Krieger der Stille

Titel: Krieger der Stille
Autoren: P Bordage
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neugierig und hatte außerdem ein großes Bedürfnis, wieder zu reden.
    »Ich weiß es nicht. Aber das Wasser dieses Bachs spricht mit uns. Hörst du es nicht?«
    Der Stein landete sanft im dichten Grasteppich neben dem ungestüm dahinfließenden Wasser. Der Narr setzte sich ans Ufer und ließ seine Füße ins kühle Nass baumeln.
    »Das Wasser sagt mir, dass wir hier bis zum Einbruch der Nacht warten sollen«, fügte er hinzu. »Denn heute ist der Tag. Sollten sie sich nicht vor dem heutigen Abend zeigen, müssen wir viele Generationen warten, ehe die Menschheit wieder eine kleine Chance bekommt, sich von den Herrschern der Finsternis zu befreien.«

    »Wer sind diese ›sie‹?«, fragte der Knabe, der sich neben den Narren gesetzt hatte.
    Auch er ließ seine Füße vom Wasser umspülen, weil er auf diese Weise hoffte, aus dem Rauschen des Bachs eine Stimme zu hören. Doch als das Wasser nicht zu ihm sprach, war er zutiefst enttäuscht.
    »Sie, das sind jene, ohne die du die immense Aufgabe, die dich erwartet, nicht bewältigen könntest«, antwortete der Narr. »Sollten sie nicht kommen, musst du wie ich in diesem Gebirge bleiben, allein den Weg der Erkenntnis gehen und einen Nachfolger ausbilden, der dann seinerseits die Tradition fortsetzt, bis jener Tag gekommen ist, um dieses angehäufte Wissen mit Hilfe unserer Meister zu verbreiten. Wir sind an einem entscheidenden Punkt angelangt, wo sich alles zum Guten oder Bösen wenden kann. Verdient es das Universum, der drohenden Zerstörung zu entgehen? Und sie allein können diese Frage beantworten, denn sie stehen unter dem Schutz des großen Musikers.«
    »Und warum sollten sie dann nicht kommen?«, fragte Shari aufgebracht.
    »Weil sie die Wahl haben. Jedes menschliche Wesen, ganz gleich unter welchen Bedingungen es lebt, hat immer die Wahl. Und allein die innere Freiheit macht eine Entscheidung wertvoll. Wenn man fest entschlossen ist, der getreue Vollstrecker des großen Plans zu sein, muss das ohne Bedauern geschehen.«
    »Aber vielleicht können sie gar nicht kommen«, gab der Knabe zu bedenken. »Haben sie überhaupt Steine, auf denen sie reisen können?«
    »Wenn du deine Gedanken benutzt, um mit dem Geist der Materie zu sprechen, so reisen sie direkt auf ihren Gedanken. Der Äther ist ihr Transportmittel. Brauchen sie
da noch etwas anderes?«, erklärte der Narr und sah Shari voller Liebe an. Dann lachte er fröhlich.
    Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und streichelte mit ihren Strahlen den Narren und das Kind. Eine wohlige Wärme breitete sich in Sharis Körper aus, machte ihn müde, fast ein wenig trunken. In der Stille der Berglandschaft, vom unablässigen Rauschen des Baches beruhigt, fühlte er ein nie gekanntes Wohlbehagen voller Heiterkeit. Er verschmolz mit seiner Umgebung, wurde eins mit der Natur und hatte das Gefühl, jetzt den Gesang des Wassers verstehen zu können, jede einzelne Note der unzähligen Tropfen zu hören, aus denen die Symphonie des sprudelnden Wassers besteht: Sie alle besangen die Herrlichkeit der Schöpfung.
    Als er aus seiner Ekstase erwachte, stellte er erstaunt fest, dass die Sonne nicht mehr am Firmament stand und dass die Schatten der Dämmerung die Landschaft verdunkelten. Auch der Narr war verschwunden. Vergebens sah sich der Knabe nach seinem Gefährten um, nirgends konnte er die vertraute Gestalt entdecken.
    Die Stunden waren mit beängstigender Geschwindigkeit verstrichen, und niemand war gekommen. Traurig dachte Shari an die Worte des Narren, die so unheilvoll geklungen hatten. Er starrte wild entschlossen aufs gegenüberliegende Ufer, als könnte er allein mit seinem Blick das Erscheinen jener bewirken, die die unausweichliche Katastrophe verhindern konnten.
    Da glaubte er, sich bewegende Schatten auf dem überhängenden Felsgestein zu erkennen. Voller Hoffnung stand er auf und kletterte dorthin. Außer Atem erreichte er den Felsvorsprung, an dessen Rand sich der Bach als Wasserfall in die Tiefe stürzte, ehe er seinen Lauf fortsetzte.

    Da sah er einen Mann und eine Frau. Sie waren in bunte Stoffe gekleidet, saßen auf dem steinigen Boden einander gegenüber und hielten sich mit geschlossenen Augen bei den Händen.
    »Seid ihr das?«, rief Shari schnell, denn eine unerklärliche Angst hatte ihn ergriffen, dass die beiden plötzlich verschwinden könnten.
    Die Frau und der Mann öffneten die Augen und bemühten sich, in der zunehmenden Dunkelheit etwas zu erkennen.
    »Seid ihr jene, auf die der Narr der Berge
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