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Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens

Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens

Titel: Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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Konten von Mubarak, Ben Ali, Gaddafi und Saleh offenzulegen, damit die von ihnen gestohlenen Milliarden zurück nach Ägypten, Tunesien, Libyen und in den Jemen überwiesen werden können, wo sie bitter benötigt werden. Und schließlich können sich die westlichen Staaten mit Eigenkapital an Investitionen in den arabischen Ländern beteiligen und Investoren aus den Golfstaaten mit einbeziehen, vorausgesetzt, diese werden nicht vom saudischen Regime gesteuert.

    Unter einem Marshallplan für die nicht-diktatorisch regierten arabischen Staaten verstehe ich einen auf Basis gemeinsamer Interessen aufgestellten Masterplan vor allem für die wirtschaftliche Entwicklung. Beginnen könnte man mit Tunesien und Ägypten, wo junge Menschen nach der Revolution darauf brennen, in nationale Entwicklungsprojekte einbezogen zu werden, und wo eine stabile Wirtschaft notwendig ist, um demokratische Strukturen zu bilden.
    Folgende Kooperationsfelder zwischen den beiden Ländern und Europa sind aus meiner Sicht die wichtigsten:

Sicherheit
    In Ägypten stützte Mubarak sein Regime mit einem Polizeiapparat von 1,4 Millionen Mitarbeitern. Die Polizisten waren nicht geschult, mit den Bürgern als freie Menschen umzugehen, denn sie sahen ihre Aufgabe nicht im Schutz der Bevölkerung, sondern im Schutz des Regimes und seiner Einrichtungen vor dieser Bevölkerung. Im viel kleineren Tunesien benötigte Ben Ali 600 000 Polizisten für die Sicherung seiner Macht. Hinzu kommen Staatssicherheitsapparate, welche die Bevölkerung in den vergangenen Jahrzehnten in allen Bereichen des Lebens bespitzelt haben. Nachdem die Demonstranten in beiden Ländern die Polizei in die Knie zwangen, die Polizeistationen verwüsteten und das Hauptquartier der Staatssicherheit stürmten, kam es zu einer erheblichen Schwächung dieser Apparate. Die Behörde der Staatssicherheit wurde dadurch voreilig aufgelöst, ohne über die Zukunft der damaligen Mitarbeiter nachzudenken, die alle Geheimnisse des Landes und seiner Bürger kennen. Einige Offiziere dieses Apparats sind deshalb ein nicht zu unterschätzendes Element in der Konterrevolution, die nun die Stabilität der beiden Länder stark gefährdet.
    Viele der ehemaligen oder sich noch im Amt befindlichen Staatssicherheitsmitarbeiter fürchten nun, allzu oft zu Recht, die juristische Verfolgung und setzen deshalb auf das Chaos. Sie sind erfahren in der Verbreitung von Gerüchten und in der Mobilisierung von Kriminellen, um so die Entstehung einer Demokratie zu verhindern. Auch viele Mitarbeiter der regulären Polizei haben keine Motivation, ihre Arbeit wieder ordentlich aufzunehmen, denn ihnen fehlt nun die Autorität, mit der sie in der Vergangenheit die Straßen im Griff hatten. Ein tragischer Fall in Ägypten zeigt, dass es sehr schwierig sein wird, ein Vertrauensverhältnis zwischen Polizei und Bevölkerung wiederherzustellen. Ein Polizist ignorierte im Juni 2011 die lange Schlange vor einer Bäckerei in Alexandria und wollte wie üblich als Erster bedient werden. Der Bäcker lehnte ab und sagte: »Das war vor der Revolution. Jetzt sind alle Bürger gleich.« Der Polizist wollte das nicht einsehen und beschimpfte den Bäcker. Es kam zu einer Schlägerei, an deren Ende der Polizist den Bäcker erschoss. Der Polizist wurde daraufhin von den übrigen Brotkäufern beinahe gelyncht. Zwei weitere Polizisten wurden im Nildelta von Bürgern zu Tode geprügelt, weil sie Bürger misshandelt hatten. Viele Polizisten haben deshalb Angst, sich wieder öffentlich zu zeigen.
    Zahlreiche Bürger beschwerten sich, dass sie nicht ernst genommen werden, wenn sie eine Anzeige bei der Polizei erstatten, nachdem sie auf offener Straße bestohlen oder geschlagen worden seien. Ironisch hätten sie die unmotivierten Polizisten aufgefordert: »Lasst die Revolution euch eure Sachen zurückbringen.« Und so kam es monatelang zu einem Sicherheitsvakuum, so dass Kriminelle, ob von den Anhängern des alten Regimes angeheuert oder eigenständig agierend, die Straßen unsicher machten. Bei der ersten Konfrontation zwischen Polizei und Demonstranten in Kairo kam es am 28. Juni 2011 zu einer quasi Racheaktion der Staatsdiener. Gegen 4000 Demonstranten wurden 3000 Polizisten eingesetzt, unterstützt von Schlägerbanden. Sie bewarfen die Protestierenden, die lediglich für ein Gerichtsverfahren gegen Polizisten, die auf Demonstranten geschossen hatten, demonstrierten, mit Steinen, Tränengas und Molotowcocktails. Ergebnis: zwei Tote und mehrere
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