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'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

Titel: 'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'
Autoren: Jess Jochimsen
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uns statt eines Strafzettels Starthilfe gaben und Tom ihnen das Versprechen abnahm, »immer gut auf die Kühe aufzupassen«, bis wir im nächsten Urlaub wiederkämen.
    Als wir heimfuhren, waren Toms Tränen einer schwelgenden Erinnerung gewichen, und wir befanden, dass die Bezeichnung »Bullen« für Polizisten im Grunde eine Auszeichnung sei.
    Im Autoradio lief ein Song des großartigen Schweizer Songwriters Hank Shizzoe: ›21.264 Cowboys – And No One Lousy Cow Around‹.

Traurige Tage in F.
    Einmal im Jahr führt mich mein berufliches Herumreisen in die Stadt F. und jedes Mal ist es schrecklich. Nirgendwo ist meine Sehnsucht nach zu Hause und nach meinem Sohn Tom größer als in F., nirgendwo stelle ich mein Dasein mehr infrage, nirgendwo geht es mir psychisch so schlecht. Die Stadt deprimiert mich zutiefst, dabei liegt F. mitten in Deutschland und nicht am A. der Welt – aber im Vertrauen: Man kann ihn von dort schon ziemlich gut sehen.
    Für die meisten Menschen sind Schwermutsattacken ein (jahres)zeitliches Phänomen, bei mir liegt es am Ort: Die Stadt F. ist schuld. Egal, ob Frühling, Sommer, Herbst oder Winter, immer wenn ich dort bin, leide ich wie ein Hund, immer neige ich zu spontanen Heulanfällen und immer regnet es.
    Natürlich kann man jetzt anführen, dass die Stadt F. nichts für meine verlässlich dort auftretende Traurigkeit könne, aber der Einwand gilt nicht. Jedes Malversuche ich meiner F.-Tristesse zu entkommen, nehme mir einen entspannten Stadtbummel vor, mit lecker Kaffeetrinken und originelle Mitbringsel für Tom kaufen und interessantem Museumsbesuch – aber es klappt nicht, weil es in F. einfach nichts gibt. ES GIBT NICHTS! F. ist keine Stadt, F. ist ein großes schwarzes Loch mit Katholizismus drum herum! (Nur nebenbei: In keinem der innerstädtischen Drogeriemärkte bekommt man Kondome – das ist vom Bistum untersagt! Unfassbar. Auf der anderen Seite: Man braucht auch keine Kondome, man ist ja in F.!)
    Schon der Bahnhof – die Rückseite von China und sonst NICHTS! Ein Gleisbett mit Ausstiegshilfe und gegenüber die stadtgewordene Depression! (Ich habe am Bahnhof von F. schon Selbstmörder getroffen, die sagten: »Nee, hier nicht, ich such mir lieber eine andere Stadt!« Wirklich wahr.)
    Und jetzt dies: Als ich vor Kurzem wieder in F. war und wie gewohnt des Lebens überdrüssig, in Selbstmitleid schwelgend und trüben Gedanken nachhängend durch die verregneten Straßen lief, entdeckte ich einen Laden, den ich noch nie zuvor gesehen hatte und von dem ich mir sicher bin, dass es ihn auch nur in F. geben kann. Es handelte sich um einen Fachhandel für Gothic-Accessoires; ein Spezialgeschäft, in dem nichts anderes angeboten wurde als Gruftie-Utensilien und Dark-Wave-Zeug: schwarze Ledermäntel, unheimliche Fledermaus- und Vampirismusartikel, Nietenmode.Im Schaufenster hing ein Schild, auf dem zu lesen war »dunkel, düster, dark«, und ich dachte: Da gehe ich jetzt rein, hier finde ich bestimmt etwas, das zu meiner Stimmung passt!
    Ich wurde fündig, und was ich fand, lachte meiner Schwermut Hohn, ließ mich alle Vorurteile über F. vergessen und, ja, machte mich auf einen Schlag glücklich. Ich erwarb: schwarzes Klopapier.
    So einfach lässt sich Trübsal vertreiben! Es gibt Dinge, die erheitern einen, ob man will oder nicht, und schwarzes Klopapier gehört dazu. Davon kommt man gut drauf, probieren Sie‘s aus, gerade im Gebrauch ist das ein Quell der guten Laune, des fehlenden Farbkontrastes wegen ... Hätte Goethe das Klopapier aus F. gekannt, seine Farbenlehre hätte anders ausgesehen!
    Ich bat die Verkäuferin – eine (typisch für F.) vielfach Mund-Nasen-und-Augenbrauen-gepiercte, pubertierende Rotzgöre –, mir sämtliche Vorräte zu
     verkaufen. Sie verzog keine Miene (wie auch, wenn das ganze Gesicht festgetackert ist), die Nachfrage nach schwarzem Klopapier schien hier alltäglich zu
     sein. (Klar, dass meine Schwermut kurz aufflackerte und ich dachte: O Gott, die Pubertät, irgendwann droht mir die bei Tom ja auch, o Gott, o Gott! Ich
     dachte sogar: Wer pubertierende Kinder hat, für den bekommt der Begriff »Wachstumsbeschleunigungsgesetz« eine ganz neue Bedeutung.)

    Aber letztlich tat das meiner guten Laune keinen Abbruch. Heiter überstand ich meinen Aufenthalt in F., heiter kehrte ich heim und heiter bin ich noch.
    Und Tom hat sich noch über kein Mitbringsel so gefreut wie über das schwarze Klopapier. Der einzige Wermutstropfen ist, dass die Reserven so
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