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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger
Autoren: Robert Löhr
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leise fragte: »Ihr habt das falsche Pferd erschossen?«
    »Aber nein«, brummte Atze. »Ich hab mir sein braunes Gesicht gut
eingeprägt, als Meister Reinmar ihm die gottverfluchte Schnauze kraulte.«
    »Ihr konntet es nicht wissen, Herr Atze, aber Meister Reinmar hatte
sich im Pferd geirrt«, erwiderte Dietrich. »Er hat Walthers Pferd gefüttert und
gestreichelt, nicht das von Wolfram.« Neben ihm löffelte Biterolf eifrig seine
Grütze in der Hoffnung, dass nie zur Sprache käme, dass er es gewesen war, der Reinmar zum falschen Pferd dirigiert hatte.
    »Ihr seid einem blinden Greis gefolgt und habt mein Pferd
erschossen«, fasste Walther zusammen.
    Ritter Gerhard lief indessen rot an unter seinem schwarzen Bart. Als
die Röte nicht mehr zu steigern war, sprang er von der Bank auf und schrie in
Richtung Dietrichs und Biterolfs: »Himmelsschlag, warum hat mich dann niemand
verbessert, als ich einem Unschuldigen Rache geschworen habe? Ihr wart doch
dabei! Da erzähle ich dem falschen Ross was von Palästina und dem heiligen
Georg, und ihr kriegt’s Maul nicht auf!« Er schlug mit der Faust auf die Tafel,
dass das Brot hüpfte und der Becher mit dem Schmalz umfiel. »Sei dem, wie ihm
sei«, sagte er, wieder an Walther gewandt, »dergleichen Verwechslungen sind
wohl unvermeidlich. Bei zwei braunen Pferden.«
    »Und weiter nichts?«, schimpfte Walther. »Könnt Ihr einen Hengst
nicht von einer Stute unterscheiden, weil beide die gleiche Farbe haben?«
    »Ich wurde verstümmelt!«, donnerte Atze zurück. »Zum Teufel, meine
Hand hing in Blut und Fetzen, hätt ich mich noch bücken sollen, um den Gaul auf
sein Geschlecht zu prüfen? Wahrscheinlich sind die beiden Geschwister, so
ähnlich sehen sie sich! Ja, Geschwister! Deshalb tat ich in jedem Falle recht,
ob nun der Übeltäter büßen musste oder sein engster Verwandter.«
    »Sein engster –? Was für ein Irrsinn! Sie sind nicht verwandt! Diese
zwei Pferde sind sich vorher nicht einmal begegnet! Und selbst wenn, Ihr wollt
nicht allen Ernstes –«
    »Die Last des Beweises liegt immerhin bei Euch, mein Herr. Fordert
Entschädigung von Wolfram, dem der Beschuldigte gehört. Er soll Euch seinen
Gaul geben. Oder fordert sie von Meister Reinmar, der mich in die Irre führte.
Aber mich trifft keine Schuld, also lasst mich in Frieden mein Frühstück essen,
und behelligt mich nie wieder mit dieser Causa, wenn Ihr nicht wollt, dass mir
die Galle überläuft.«
    Mit diesen Worten nahm er wieder Platz. Walther sah ihm dabei zu,
wie er einen Brotkanten in das Schmalz stippte.
    »Ich werde mit dem Landgrafen sprechen.«
    »Das tut, wenn Ihr Euch alleine nicht zu helfen wisst.«
    »Er wird sich über die Sitten seines Ingesindes wundern«, sagte
Walther. » Ungesinde sollte man Euch eher nennen.«
    »Ein Wort noch, Herr Sänger, und Ihr blutet neben Eurem Pferd in den
Eimer.«
    Walther ließ die Drohung unerwidert und suchte unverzüglich, wie
angekündigt, Landgraf Hermann auf, um ihm den Vorfall zu schildern. Den Rest
des Tages verzog er sich in die Spinnstube zu Landgräfin Sophia und ihren
Damen, Lieder singend und aus seinem Leben erzählend, wobei das Interesse
seiner Zuhörerinnen vornehmlich den Frauen galt, die er geliebt und umworben
hatte. Als Walther zum Abend hin die Zimmer der Frauen verließ, hatten sich so
viele feine Fäden weißer Wolle in seinen Kleidern verfangen, dass es aussah,
als wäre er durch einen Raum voller Spinnweben gelaufen.
    Biterolf, der eigentlich den Damen am Vormittag seine Aufwartung
hatte machen wollen, musste sich nun, da Walther ihm zuvorgekommen war, nach
einem anderen Zeitvertreib umsehen. Er folgte der Einladung des tugendhaften
Schreibers, die Bibliothek des Landgrafen zu besichtigen. Der Kanzler nahm sich
die Zeit, Biterolf einzuführen in eine umfangreiche Sammlung von theologischen,
historischen und poetischen Büchern, deren Anschaffung Hermann ein Vermögen und
mehrere Kälberherden die Haut gekostet haben musste. Obwohl der Schreiber jedes
Werk offenbar Dutzende Male und mehr gelesen hatte, konnte er sich noch immer
für jedes der Bücher begeistern, und seine Begeisterung war ansteckend; eine
Begeisterung, die sich nicht nur auf den Inhalt beschränkte, sondern auch den
Einband, die Bünde, die Seiten, die Schrift und die Malereien mit einbezog. Er
fuhr mit den Fingern über die Seiten, roch mit geschlossenen Augen an Holz,
Pergament und Leder und wies Biterolf entzückt auf jene Häute hin, bei denen
der Pergamenter nicht
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