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Kreuzstein

Kreuzstein

Titel: Kreuzstein
Autoren: Ulrich Schreiber
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Zittern war auf dem Fußboden zu spüren, als ob die U-Bahn direkt unter dem Dom durchfahren würde.
    »Was war da los?«, brüllte Weidinger den Einsatzleiter des SEK an.
    »Ich konnte Ihnen noch gar nicht mitteilen, dass zwei Leute von der Entschärfung inzwischen eingetroffen sind und den Südturm auf einen möglichen Einsatz hin untersucht haben«, rief dieser ihm zu und rannte auf den Explosionsort zu. »Wir müssen sie jetzt erst einmal da herausholen.«
    »Kann hier mal festgelegt werden, wer eigentlich das Kommando hat?«, brüllte der Staatsanwalt hinter ihm her.
    Mit drei Kollegen des SEK drang der Einsatzleiter in den Turm ein. Dicke Rauch- und Staubwolken schlugen ihnen entgegen.
    »Hallo, ist euch was passiert?«, brüllte ein Beamter in den Treppenturm hinauf. Zuerst kam keine Antwort, dann ein Stöhnen und Husten.
    »Hilfe«, rief jemand mit erstickter Stimme, »hier oben, holt uns runter!«
    Mit wenigen Sätzen spurteten die vier Polizisten nach oben. Auf der letzten Windung vor dem Sprengpunkt türmte sich der Schutt der Treppe, die über ihren Köpfen jetzt fehlte. Die beiden Sprengstoffexperten lagen wenige Stufen weiter aufwärts zwischen dem Schutt und dem Loch in der Treppe, halb unter kleinen Gesteinsbruchstücken begraben, und hielten sich die Ohren zu. Vermutlich waren ihre Trommelfelle geplatzt.
    »Sprengfalle, mittendrin, nicht sichtbar«, stammelte der ältere der beiden.
    Zwei Minuten später stolperten sie ins Freie. Ihre Kollegen brachten sie im Dauerlauf zum nächsten Krankenwagen. »Wir müssen hier weg. Der scheint ernst zu machen!«
    Nach der Sprengung der Treppe war klar, dass Katy kaum Chancen hatte, zu Fuß zu Malte hinaufzukommen. Die Spezialisten des SEK hatten inzwischen den Lastenfahrstuhl aufgebrochen, mit dem das Baumaterial für die ständigen Sanierungen auf das Dach des Langhauses geschafft wurde. Die zerstörte Elektrik hatten sie provisorisch überbrückt. Allerdings war der Betrieb des Fahrstuhls nicht lautlos, und der Täter würde sofort merken, wenn jemand nach oben käme.
    Jetzt musste nur noch der Staatsanwalt sein Einverständnis geben. Nach einer kurzen, aber heftigen Diskussion zwischen der Kommissarin, Katy, Allenstein und Weidinger stiegen zwei Männer vom SEK und Katy in den Transportkorb. Kurz darauf fuhren sie im dichten Schneetreiben in die Höhe. Auf halber Strecke legten sich die beiden Polizisten auf den Boden des Fahrstuhlkorbs, bis sie den Rand des Daches erreicht hatten. Katy hatte bereits eiskalte Finger, als sie den Korb öffnete. Fast unerträglich war der Griff an die mit gefrorenem Schnee behangenen Stahlrohre, die als Geländer die glatten Holzbohlen begrenzten.
    Die Polizisten suchten den Rand des Daches mit Nachtsichtgeräten ab, so gut es bei den Wetterverhältnissen ging. Als sie niemanden entdecken konnten, folgten sie Katy, die vor Kälte bereits am ganzen Körper zitterte, in sicherem Abstand.
    Kurzzeitig umgab sie der Schneefall wie ein Schleier, was die Sichtverhältnisse erheblich erschwerte. Die Polizisten konnten ungesehen den Rand des Hauptschiffes überqueren und huschten hinter Katy her bis zum Eingang des Nordturms in das dritte Geschoss.
    Während Baumann im Technikwagen die Einsätze der Hundertschaften zu koordinieren versuchte, war Gabriele Kronberg auf dem Weg in den Dom. Ihr folgten zwanzig Einsatzkräfte. Jeweils zehn weitere bewegten sich zu den Nebeneingängen. Sie hatten noch elf Minuten Zeit. Zu wenig, um das gesamte Kirchenschiff räumen zu lassen. Die drei Tore des Westportals lagen direkt unter den beiden Türmen und fielen allein deshalb schon für eine Evakuierung aus. Die Nord- und Südportale lagen genau im gefährlichen Bereich, wenn die Türme nach Osten stürzen würden. Der einzige einigermaßen sichere Ort war im Chorpolygon auf der äußersten Ostseite. Gabriele Kronberg hoffte, dass aufgrund der schlechten Wetterverhältnisse in diesem Jahr weniger Besucher im Dom sein würden. Viertausend Menschen passten in den Chor nicht hinein.
    Bewaffnet mit einem Megafon betrat sie den Dom in Begleitung der Uniformierten durch die Seitentüren. Es war tatsächlich nicht so voll wie in früheren Jahren. Offensichtlich hatte das Wetter viele davon abgehalten, so spät noch einmal aus dem Haus zu gehen. Aber zweitausend Menschen waren mit Sicherheit in der Kirche versammelt. Die Kommissarin wartete, bis die dritte Strophe von »Stille Nacht, Heilige Nacht« verklungen war. Bei der Zeile »Da uns schlägt die
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