Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kratzer im Lack

Kratzer im Lack

Titel: Kratzer im Lack
Autoren: Mirjam Pressler
Vom Netzwerk:
weil Herr Baumeister lacht. Sogar Klaus lacht laut mit. Hat er denn vergessen, wie Herr Baumeister sein kann, wenn er schlecht gelaunt ist? Denkt er nicht an das unberechenbare Brüllen und Toben? Klaus ist auch nicht gescheiter als die andern. Wie ein Hund ist er, der den Fußtritt vergessen hat, wenn sein Herr ihn wieder streichelt.
    Herbert sieht, wie Herr Baumeister die Klasse beobachtet und darauf wartet, dass sich einer eine Blöße gibt. Dann wird er zuschlagen. Er wird den einen mit seiner Wut überfallen, die die anderen nicht verstehen können. Sie glauben ihm ja sein Lachen.
    Die Gefahr ist im Lachen. Wenn man lacht, passt man nicht auf. Herbert weiß das. Wenn sein Vater nicht gelacht hätte, wäre Herbert nie ins Schlafzimmer gegangen, hätte seine Vorsicht nicht vergessen.
    Er ist aufgewacht, voll unbestimmter Angst, in seinem eigenen Zimmer, nur weil die Mutter den Rollladen nicht runtergelassen hatte und der Mond so weiß schien. Der Schrank und der Tisch sahen ganz anders aus als am Tag, ganz anders als abends, wenn die Lampe brennt. Wie Buttermilch floss das Licht über den Teppich. Das war es, was ihn geweckt hatte.
    Er hat die Decke über den Kopf gezogen, aber das hat nichts geholfen. Auch im sicheren Dunkel unter der Decke wusste er, wie es jetzt in seinem Zimmer aussah. Das Licht hatte ihn geweckt und trieb ihn nun hinaus auf den dunklen Flur, hinüber zu dem Zimmer der Eltern. Er hörte sie lachen und war froh, dass sie noch wach waren. Das ist nur der Mond, würde die Mutter sagen. Du brauchst doch keine Angst zu haben vor dem Mond. Sie würde aufstehen und ihn bei der Hand nehmen. Komm, wir machen den Rollladen runter, dann kannst du ruhig schlafen. Ich hab nur vergessen, ihn runterzulassen, das ist alles.
    Ganz leise öffnete Herbert die Tür, damit sie nicht erschraken. Sie lagen nackt im Bett, dicht beieinander, Mund an Mund lagen sie im rosaseidenen Licht der Nachttischlampe und lachten. Sie sahen ihn nicht. Herbert machte die paar Schritte zum Bett, stand plötzlich da und lachte auch. Er streckte die Hand aus und legte sie seinem Vater auf die Schulter. »Jetzt hab ich euch«, sagte er.
    Und dann war nur noch Wut im Gesicht des Vaters, als er zuschlug. Herbert hat es nicht verstanden. Aber er hat gelernt, dass er aufpassen muss, wenn einer lacht.
    Die Klasse ist wieder ruhig geworden.
    »Weiß eigentlich noch jemand, wie der männliche Hase heißt?«, fragt Herr Baumeister.
    »Rammler«, sagt Herbert laut.
    Die Klasse lacht. Herbert wird rot. Er muss aufstehen und zum Klo gehen. Er wäscht sich lange die Hände, obwohl das Wasser sehr kalt ist. Der Seifenspender ist auch wieder mal leer.

4.
    Zwölf Uhr. Frau Kronawitter zieht ihre Schürze aus und den Mantel an. Wastl springt an ihr hoch und jault.
    »Still«, sagt sie. »Sei doch endlich still.«
    Dieses quietschende Jaulen geht ihr auf die Nerven, überhaupt die ganze hechelnde, fordernde Lebendigkeit.
    »Ja, Wastl«, sagt sie und klemmt die Leine an seinem Halsband fest. »Ja, ja.« Aber sie weiß jetzt schon, dass er sich nicht beruhigen lassen wird. Er wird an ihr zerren, bis er an allen Ecken gepinkelt hat. Wie kann er nur so oft pinkeln? Überall ein paar Tropfen. Warum nicht ein ruhiger Strahl, bis die Blase leer ist?
    Sie dreht den Schlüssel zweimal um und macht sich auf den Weg zu ihrer Wohnung. Sie muss nichts einkaufen. Fleischpflanzel wird sie machen und Hackfleisch hat sie noch. Morgen wird sie wieder einkaufen gehen müssen beim Tengelmann in der Potsdamer Straße oder beim Kaiser am Berliner Platz.
    Das Treppenhaus ist düster. Natürlich, es ist ein grauer Oktobertag, aber trotzdem scheint es ihr so, als wäre das früher anders gewesen. Damals gab es mehr Kinder, denkt sie. Jetzt gibt es nur noch wenig Kinder im Haus. Und die sind ganz ruhig. Heutzutage regen sich aber auch die Mieter auf, wenn Kinder Krach machen. Früher war das normal. Da haben die Kinder im Treppenhaus gespielt, wenn es draußen geregnet hat, und nur die alte Horwitz hat immer über den Krach geschimpft. Aber keiner hat sie ernst genommen und dann ist sie ja auch bald gestorben.
    Frau Kronawitter steigt langsam die Stufen hinauf. Es fällt ihr schwer. Auf dem ersten Treppenabsatz bleibt sie stehen und verschnauft. Der Herbert kommt hinter ihr her die Treppe herauf. »Guten Tag, Frau Kronawitter«, sagt er und drückt sich an ihr vorbei, schnell, damit Wastl nicht an ihm hochspringen kann. Er mag den Hund nicht. Sie hat schon längst gemerkt,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher