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Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport

Titel: Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
Autoren: Renate Hartwig
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beugen. Ausgeklügelte Managementpläne setzen beim Primärarzt an, bestimmen seine Aufgaben und seine Bezahlung, erheben ihn zum »medizinischen Direktor«, der über die Interessen des Versorgungsplans wacht und sie für wichtiger hält als die notwendigen Bedürfnisse der Patienten. Peeno beurteilt die Vorgaben des »managed care« unter ethischen Gesichtspunkten:

Die Manager sagen: Kostenersparnis ist notwendig.
    Für Peeno stammt diese Aussage aus einer Manie nach Effizienz. Diese verlange, die Versorgung zu begrenzen, den Versicherten Leistungen zu versagen, von Lieferanten preiswertere Hilfs- und Heilmittel zu besorgen. Aus solchen Sparmaßnahmen resultieren Verluste für Individuen, Familien und die Gesellschaft – durch Schmerzen, schwerere Erkrankungen, Todesfälle, psychosoziale Probleme, das Aushöhlen von Vertrauen und Gemeinsinn.

Die Manager sagen: Das Allgemeinwohl rangiert vor den Ansprüchen oder Bedürfnissen des Einzelnen.
Sein Leben ist unwichtig.
    Diese Vorstellung passt laut Peeno gar nicht zur Denkweise der US -Bürger. Sie seien bereit, einem Opfer Hilfe zu geben, die es benötigt. Die Kostenersparnis durch Vorenthalten von Gesundheitsleistungen fließt zudem nicht in die Gesellschaft zurück. Es kommt auch nicht den Versicherten oder anderen Kranken zugute. Das Geld landet vielmehr in den Taschen der Manager und Aktionäre der Gesundheitsunternehmen.

Die Manager sagen: Medizinische Entscheidungen werden von Ärzten vorgenommen, die über einen guten Charakter und Kompetenz verfügen.
    Peeno entgegnet, der Arzt verliere Berufsethik und Berufsehre, wenn er von dem »Gemeinwohlauftrag« überzeugt ist. Als Teil einer größeren Organisation kann man trotz gutem Charakter unter Druck Entscheidungen treffen, die unethisch, unangemessen und unprofessionell sind. Leichter fällt dies, wenn die Beschlüsse aus der Distanz zu den Patienten fallen und die Verantwortung dafür nicht genau zuzuordnen ist.

Die Manager sagen: Die Spirale der Kostensteigerung im Gesundheitsbereich rechtfertigt die Kontrolle der Mediziner als Entscheider.
    Peeno kontert: Historisch liegt der Erfolg unseres Systems nicht zuletzt in der Erziehung, Ausbildung und Autonomie der Ärzte. Sie wird untergraben durch Verunglimpfen von Spezialisten, durch Leitlinien, die von Personen mit wenig medizinischer Erfahrung diktiert werden, durch Aushöhlen der Fundamente des Arzt-Patienten-Verhältnisses.
     
    Linda Peeno prangert diese Fehlentwicklungen heute genauso an wie vor anderthalb Jahrzehnten. Wie viele Kritiker ist sie nicht davon überzeugt, dass US -Präsident Obamas Gesundheitsreform etwas an den Systemfehlern ändert. In Kalifornien verschlingt allein die Verwaltung der Versicherungen und HMO s rund 25 Prozent dessen, was Bürger und Staat jährlich in die Krankenversorgung investieren. Zum Scheitern verurteilt ist auch der Versuch, staatliche Zuschüsse mit Hilfe von festen Kopfpauschalen für die Dienstleister zu steuern. Kaiser Permanente gilt übrigens als Musterunternehmen, dessen Methoden andere HMO s übernehmen. Linda Peeno sagt, der gesamte Gesundheitsmanagement-Prozess funktioniere wie ein gewaltiger Trichter. »Das Geld wird oben hineingeworfen, und unten soll so wenig Gesundheitsleistung wie möglich für einzelne Patienten herauskommen.« Deshalb werden Filter eingebaut. Das Leben der Patienten hänge davon ab, wie fein oder grob sie konstruiert seien.
    Charles Phillips fasst seine Beobachtungen so zusammen: »Alle HMO s nutzen die Kaiser-Formel und teilen den Profit mit den angestellten Ärzten. Diese sind wegen der hohen Ruhestandszahlungen ihr ganzes Berufsleben von den Unternehmen abhängig. Wer nicht mitzieht, fliegt raus und verliert seine Ansprüche.«
    *
    Was können wir von den USA lernen? Überhaupt nichts Gutes. Eine Gesundheitsindustrie verfährt nach ihren kommerziellen Gesetzmäßigkeiten. Sie optimiert die Rendite der eingesetzten Finanzmittel. Auf der Strecke bleibt die Krankenversorgung. Wer als Versicherer, Betreiber von Kliniken, Versorgungszentren und Apotheken wie Kaiser Permanente Gewinne erzielen will, bedient sich des Instrumentariums »Gesundheitsmanagement«, um die eigentlichen Absichten zu verschleiern. Von Gesundheitsunternehmen abhängige Ärzte und Pflegekräfte unterwerfen sich diesen Maßgaben und finden stets nachvollziehbare Gründe, um ihr Verhalten zu rechtfertigen. Selbst das Allgemeinwohl wird als Argument für Rationierungen bemüht, obwohl es auf dem Wohl des
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