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Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport

Titel: Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
Autoren: Renate Hartwig
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in der Muskulatur. Sein Wert im Blutserum weist auf die Funktionsfähigkeit der Niere hin. In den USA geht die Medizin von einem Normwert von 0,7 bis 1,2 Milligramm pro Deziliter aus. Das in Nordkalifornien auf Profitbasis tätige Permanente-Ärzteunternehmen hat die Obergrenze auf 1,5 angehoben. Akutes Nierenversagen oder der Verlust der Nierenfunktion etwa bei Diabetes werden die seltener feststellen als Kollegen, die nicht bei dieser HMO arbeiten.
    Bei Borreliose – die Erreger werden von Zecken übertragen – hat sich Kaiser Permanente eines völlig unzulänglichen Diagnoseverfahrens bedient. Dieses hat der Konzern in eine Leitlinie gefasst, die – wie viele andere – nur für den internen Gebrauch zulässig war. Der ELISA -Test reichte aus. Er beruht auf einer Wechselwirkung von Antigen und Antikörper, fällt aber bei 75 Prozent der chronisch Erkrankten negativ aus. Auch das bei positivem Ergebnis anschließende Western-Plot-Verfahren – es prüft eine Vielzahl von Antigenen – liefert keine Gewissheit über diese Bakterieninfektion. Kaiser-Ärzte schlossen eine Erkrankung bei positivem Western Plot und negativem ELISA -Ergebnis aus, obwohl in diesem Fall eine Infektion als wahrscheinlich gilt. Sichere Diagnosen beruhen allerdings mehr auf dem Krankheitsbild als auf Laborwerten. Drei Wochen genügten den HMO -Medizinern auch für die Behandlung mit Antibiotika. Borreliose-Experten halten aber drei Monate für notwendig. Wird die schwere Erkrankung später entdeckt, empfehlen die Spezialisten eine längere Arzneigabe oder höhere Dosen, als üblicherweise verabreicht wird.
    Restriktiv werden auch teure bildgebende Diagnoseverfahren verordnet, obwohl sie Bänderrisse im Knie oder anderen Gelenken sicher darstellen. Auf frühere Röntgenbilder zum Vergleich greifen die Mediziner ebenfalls nicht zurück, allenfalls auf Befundergebnisse. Sie bestehen aber nicht selten aus der sehr lapidaren Aussage über die Organe: »normal«. Dr. Phillips berichtet auch von Biopsien, deren Ergebnisse nicht zutrafen oder nicht mehr auffindbar waren. An dem großen Darmkrebs-Vorsorgeprogramm hat der Kritiker auszusetzen, dass Pflegekräfte die Darmspiegelung übernahmen – inklusive Biopsie. Daneben entscheiden Krankenschwestern über orthopädische Probleme, Fachärzte helfen in ihnen fremden Abteilungen aus. Zu Beginn dieses Jahrhunderts hat KP zahlreiche erfahrene Ärzte in den Ruhestand versetzt und junge Mediziner rekrutiert. Sie sind billiger und williger. In jeder Kaiser-Einrichtung finden zudem Datenabgleiche mit Geschäftszahlen statt, um Personal anzuprangern, das medizinische Versorgung zu großzügig betreibt. Eine Richtlinie für Ärzte bringt das Ziel der HMO , Kosten statt Gesundheit zu managen, auf den Punkt: »Das gesunde Mitglied wird ein Aktivposten, der kranke Patient eine Belastung.«
    Auf einer Vielzahl von Internet-Seiten bestätigen Patienten diese Analyse oder schildern ihre Horrorgeschichten über Behandlungen, die nicht selten zu irreversiblen Gesundheitsschäden oder zum Tod führen. Kann dies für das Unternehmen gutgehen? Das exorbitant kostspielige US -Haftungsrecht schiebt diesem Treiben doch einen Riegel vor?
    Weit gefehlt. In Kalifornien existiert bereits seit 1976 ein Gesetz, das Medizinschäden auf maximale Summen begrenzt. Kritiker sind sich sicher, dass Kaiser Permanente seine guten Kontakte zu Politikern des Bundesstaates genutzt hat, um diese Limitierungen zu befördern. Allerdings schnellten wegen hoher Haftungszahlungen damals auch die Prämien für die Mediziner in die Höhe, die sich gegen Behandlungsfehler versichern müssen. Das Schmerzensgeld darf seither 170 000 Euro (250 000 Dollar) nicht übersteigen. Künftige Schäden werden durch jährliche Ratenzahlung von maximal 50 000 Dollar abgegolten, bis der Geschädigte gestorben ist. Der makabre Spruch dazu machte rasch die Runde: »Wenn du jemand fahrlässig schädigst, mach die Arbeit ganz.« Auch die Anwaltskosten sind gedeckelt. Die meist komplizierten Prozesse werden für Juristen dadurch nicht gerade lukrativ. Die Folge: Einen guten Rechtsbeistand zu finden ist schwierig. Da stirbt etwa ein 32-Jähriger im Krankenhaus an einer zu spät entdeckten Blutvergiftung. Ihm wurde zuvor lediglich ein Abszess mit einem eingewachsenen Haar entfernt. Um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, finden die Eltern keinen Anwalt.
    Jeder KP -Versicherte akzeptiert zudem, dass zunächst ein außergerichtliches Schiedsverfahren
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