Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krampus: Roman (German Edition)

Krampus: Roman (German Edition)

Titel: Krampus: Roman (German Edition)
Autoren: Brom
Vom Netzwerk:
dass jemand wie du sie so sehr liebt.«
    Er lachte. »Allerdings.«
    »Na, dann mal los. Ist ja kein Ding.« Isabel öffnete die Tür und wollte aussteigen.
    »Warte einen Moment. Eine Kleinigkeit noch …«
    Sie schaute ihn neugierig an.
    »Steig ein und mach die Tür wieder zu. Es soll niemand sehen.«
    Isabel gehorchte.
    Er öffnete das hintere Fenster der Fahrerkabine, griff hindurch und zog seine alte Leinensporttasche hinter dem Werkzeugkasten hervor. Rasch wischte er den Schnee ab und legte sie zwischen sich und Isabel. Dann holte er den Pappkarton aus dem Fußraum und klappte ihn auf.
    »Was hast du mit dem ganzen Geld vor?«
    »Dafür sorgen, dass du nicht Not leidest.« Damit schüttelte er die Arbeitskleidung aus der Leinentasche, steckte die Hälfte des Geldes hinein, zog den Reißverschluss zu und hielt sie ihr hin.
    »Das musst du nicht tun«, sagte sie.
    »Doch, allerdings.«
    Sie nahm die Tasche und lächelte ihn dankbar an.
    »Und jetzt hör mir gut zu. Zu niemandem auch nur ein Wort über diese Scheinchen. Hast du verstanden?«
    Isabel verdrehte die Augen. »Lieber Himmel, Jesse. Ich sehe vielleicht aus wie ein Kind, aber ich bin über fünfzig. Ob du es glaubst oder nicht, ich bin nicht völlig unbedarft.«
    Jesse klopfte auf die Tasche. »Da sind etwa zwanzigtausend Dollar in bar drin. Damit kommt man heutzutage zwar nicht weit, aber wenigstens wird dir das Geld dabei helfen, Fuß zu fassen. Ach ja … und das hier«, er reichte ihr ein zerknülltes Stück Papier, »ist die Nummer von Lindas Mutter. Ihr Telefon funktioniert vielleicht noch nicht wieder, aber wenn du in der Klemme sitzt, wenn dir das Geld ausgeht oder sonst etwas ist, egal was, dann zögere nicht …«
    Sie legte ihm die Finger an den Mund. »Ist schon in Ordnung. Ich komme zurecht.«
    Er stieß einen tiefen Seufzer aus.
    »Jesse …«
    »Ja?«
    »Danke. Dafür, dass du dich um mich kümmerst.«
    Er grinste. »Klar doch.«
    Isabel beugte sich vor und überraschte Jesse mit einem Kuss auf die Wange. Bevor er reagieren konnte, öffnete sie die Tür und stieg aus dem Wagen.
    »Warte«, rief er. »Himmel noch mal, die Tasche.« Er hielt sie hoch.
    Sie drehte sich zu ihm um, ohne ihm in die Augen zu schauen, aber er konnte ihre Tränen sehen.
    »He«, sagte er, »vergiss nicht, dass ich dir versprochen habe, dir irgendwann mal einen Holzweg zu zeigen.«
    Da schüttelte sie grinsend den Kopf, nahm die Tasche und ging Richtung Kirche. Jesse sah zu, wie sie die Eingangstreppe hochstieg und dabei auf jeder Stufe innehielt. Dann legte sie die Hand an die Tür und stand eine ganze Weile reglos da, bevor sie sie schließlich aufdrückte und hineinging.
    Für einen kurzen Moment erhaschte Jesse einen Blick auf weiches, warmes Licht, auf Menschen mit Gesangbüchern in den Händen und auf die Orgel, deren Spiel er gedämpft bis auf den Parkplatz hörte. Dann schwang das Kirchentor langsam zu, und er blieb allein im rieselnden Schnee zurück.
    Er wartete fast eine Stunde. Als Isabel nicht wieder herauskam, gelangte er zu dem Schluss, dass vielleicht wirklich alles in Ordnung war.

    ***

    Vernon folgte den Eisenbahnschienen nordwärts entlang des Coal River. Er gab sich alle Mühe, die vereisten Stellen zu umgehen, während er durch den festen Schnee schritt. Er hatte vergessen, wie schneidend Winterkälte war. Jetzt, da er wieder ein Mensch war, schlang er die Arme um den Leib und versuchte, nicht zu bibbern. Mit Einbruch der Abenddämmerung fielen die Temperaturen. Vernon fragte sich verbittert, ob sein Schicksal nach all den Widrigkeiten darin bestand, allein an diesem trostlosen Fluss zu erfrieren.
    Beinahe hundert Jahre lang war er ein Gefangener dieser Hügel gewesen. Nun wurde ihm klar, dass alle Menschen, die er je gekannt hatte, inzwischen tot waren und dass es die Welt, in der er gelebt hatte, längst nicht mehr gab. Zwar hatte er kein Geld und auch nicht die geringste Ahnung, wohin er sich wenden sollte, abgesehen davon, dass er möglichst weit weg von Krampus und diesen fürchterlichen Engeln wollte. Trotzdem lächelte er unwillkürlich. Ich bin frei! Er atmete tief durch und ließ sich ganz von diesem Gefühl erfüllen. Ich kann gehen, wohin ich will. Tun, was ich möchte. Er lachte. Zumindest, bis ich verhungert oder erfroren bin.
    Ein Güterzug kam ihm auf den Schienen entgegen. Vernon kletterte die Böschung empor und ließ ihn vorbeirattern. Dann roch er Schmiermittel, und in seinem Magen rumorte es. Ein Stück die Straße
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher