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Kramp, Ralf (Hrsg)

Kramp, Ralf (Hrsg)

Titel: Kramp, Ralf (Hrsg)
Autoren: Tatort Eifel 3
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gegründet. Er arbeitete in der Metzgerei seines Vaters, was ihn lange davor bewahrte, eingezogen zu werden. Aber am Ende, als man unbedingt diesen Krieg gewinnen wollte, hat Hitler ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mein Großvater hat wohl bald gemerkt, dass der Krieg längst verloren war und die Soldaten nur noch verheizt wurden, da ist er desertiert. Eine Frau aus Hillesheim hat ihn bei sich aufgenommen, das haben wir noch rausgefunden. Sie hat uns erzählt, was für ein feiner Kerl mein Großvater war. Er hat ihr Holz gehackt, obwohl das gefährlich war, weil er hätte entdeckt werden können. Nach ein paar Tagen ist er weitergezogen, weil er unbedingt zu seiner Familie wollte. Dann verliert sich seine Spur. Wo er danach abgeblieben ist, weiß keiner. Diese Ungewissheit hat meine Oma ziemlich mitgenommen. Jahrelang hat sie auf ihn gewartet, und als sie ahnte, dass er nicht mehr wiederkommt, hätte sie sich wenigstens ein Grab gewünscht, wo sie ihn betrauern kann.« Er hob die Schultern und nahm einen großen Schluck Bier.
    »Seit dreißig Jahren bin ich Motorradfahrer«, fuhr er fort und wies auf eine goldene Kette an seinem Hals, an der ein winziger Motorradanhänger baumelte. Er winkte Markus, der ihm ein weiteres »bleifreies« Bier bringen sollte.
    Herbert interessierte sich für das Motorrad und wollte wissen, was Männer immer wissen wollen.
    »Ich fahre eine Honda VFR 750, 106 PS, Baujahr 1986 und sehr gut gepflegt«, gab Nagel bereitwillig Auskunft.
    Von der Straße her war Hufgeklapper zu hören. Eine jüngere Frau hoch zu Ross rief: »Wem gehört denn das weiße Motorrad?«
    »Mir«, antwortete der Biker. »Ist was damit?«
    Sie schüttelte lachend den Kopf. »Nee, nee, ich dachte nur gerade, ein weißes Motorrad ist genauso schlimm wie ein weißes Pferd. Die wälzen sich immer im Dreck, und man muss sie ständig saubermachen.«
    »Da ist was dran«, meinte Nagel.
    Markus Schröder setzte sich zu uns an den Tisch.
    »Weiß man denn inzwischen etwas über die vermissten Kinder?«, fragte ich ihn. Der Gedanke daran hatte mich die ganze Zeit nicht losgelassen.
    Markus nickte. »Die hat man wohlbehalten in der Nähe des Wasserfalls gefunden. Sie hatten sich wohl verirrt. War ’ne ziemliche Aufregung.«
    »Gott sei Dank«, entfuhr es mir.
    »Bei der Suche nach ihnen ist man auf eine Leiche gestoßen. Die lag in einer eingestürzten Höhle im Wasserfall«, fuhr Markus fort. »Ein Skelett. Völlig versintert.«
    Ich horchte auf.
    »Vielleicht war da einer allzu neugierig und hat das mit dem Leben bezahlt«, meinte Nagel. »Vielleicht ist der aber auch nicht ganz freiwillig da hineingefallen, wer weiß.«
    »Ich bin nur froh, dass den Kindern nichts passiert ist«, sagte ich.
    Abends im Bett begann Herbert plötzlich zu sprechen. »Was muss der Mann wohl durchgemacht haben«, sagte er.
    »Welchen Mann meinst du?«
    »Der Soldat, der Großvater von dem Biker.« Es war diese Geschichte, die Herbert nicht losließ, während meine Gedanken noch immer um die vermissten Kinder kreisten und darum, wie glücklich die Eltern sein mussten, dass die Suche erfolgreich war und die Geschwister wieder zu Hause waren.
    Das nächste Mal kamen wir an Christi Himmelfahrt zu einer Stippvisite nach Niederehe.
    »Erinnert ihr euch an den Motorradfahrer mit der weißen Honda, der bei euch am Tisch gesessen hat?«, fragte Markus Schröder. »Hat er euch auch von seinem Großvater erzählt, der im Krieg desertiert ist?«
    Herbert nickte.
    »Das Skelett, das offenbar viele Jahre lang in dieser eingestürzten Höhle im Wasserfall lag, war höchstwahrscheinlich sein Großvater. Man hat ein paar Dinge gefunden, Fetzen einer Soldatenjacke und dazugehörige Knöpfe. Wirklich Aufschluss gab aber eine gut erhaltene Blechmarke mit seinem Namen.«
    »Also kein Verbrechen?«, bemerkte ich.
    »Kein Verbrechen?«, trumpfte mein sonst so stiller Herbert auf. »War nicht das, was man den jungen Soldaten angetan hat, ein Verbrechen? Das Leben dieses Mannes wäre vollkommen anders verlaufen, hätte man ihn nicht in den letzten Kriegstagen in den sicheren Tod geschickt. Dass er desertierte, war das einzig Richtige. Noch ein paar Tage, dann hätte er es geschafft. Er hat sich dafür entschieden, zu widerstehen, weil er etwas Wichtiges begriffen hatte. Er verweigerte den Gehorsam. Damit hat er großen Mut bewiesen. Nach dem Krieg wäre er nicht mehr als Verbrecher behandelt worden, sondern als ein gefeierter Held.« Herbert verstummte wieder,
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