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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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die Sicht. »Wir sind dann mal weg«, rief er über seine Schulter in den Saal. Die anderen signalroten Männer folgten ihm. Der letzte von ihnen schloss die Tür hinter sich.
    Die Rettungsmannschaft durchquerte den Flur. Die Herumstehenden wurden still, als lauschten sie dem Klang der Schritte, bis er draußen von anderen Geräuschen verschluckt wurde. Möglich, dass sie alle dasselbe dachten: nichts mehr zu machen.
    Aus der Teeküche kam Kevin mit seiner Mutter, einer kraushaarigen Frau mit großer Brille. Als er Pilar erblickte, richtete er die Augen auf seine ausgetretenen Turnschuhe. Die Mutter packte ihn am Arm und manövrierte ihn in Richtung Ausgang – ein seltsamer Anblick, da ihr Sohn sie deutlich überragte. »Kevin, der Kommissar hat uns aufgefordert zu gehen.«
    »Arme Maus«, sagte jemand in Pilars Rücken.
    War er also doch da! Der gute Freddy, der bei jeder ihrer Aufführungen noch rhythmisch Beifall klatschte, wenn der Saal schon fast leer war. Sie drehte sich um.
    »Wochenlang umsonst malocht. Fühlst dich sicher scheußlich.«
    Pilar hätte ihn umarmen können. Freddy war wirklich lieb. »Wann bist du gekommen, Freddy?«
    »Kurz bevor das Licht ausging.«
    »Hast du hinten gestanden?«
    Er rückte seine goldfarbene Metallbrille zurecht und nickte. »Am Rand.«
    »Dann warst du ja …«, Pilar senkte ihre Stimme, die ihr ein wenig zittrig vorkam, »… in ihrer Nähe.«
    Freddy zuckte mit den Schultern. »Ich weiß, sie war nicht dein Fall«, sagte er ziemlich laut. »Da gab es doch diesen Streit …«
    Toll, das hatten alle im Flur gehört! Pilar zielte mit dem Schuh auf sein Schienbein und traf den Plakatständer, der krachend umfiel. Auch das noch! Einige Köpfe wandten sich um.
    »Sorry, ich rede Blödsinn«, brummelte Freddy.
    »Wie in deinem Staatsexamen«, zischte Pilar. »Wieder mal durchgefallen! Diesmal bei mir.« Es war gemein. Pilar hasste sich dafür. Sie wusste doch, wie sehr Freddy darunter litt, dass er nicht zum Volljuristen getaugt hatte und auch als Privatdetektiv nicht sonderlich gefragt war. Aber das hätte ihm nicht herausrutschen dürfen! Die Leute blickten herüber, als überlegten sie bereits, ob Pilar als Mörderin in Betracht käme.
    Kommissarin Ahrbrück trat zu ihnen. »Kommen Sie beide bitte mit mir?«
    »Du auch?«, raunzte Pilar Freddy an.
    »Ich war so nah dran«, murmelte er.
    Im Vorübergehen warf Pilar einen Blick auf die Limo-, Saft- und Sektflaschen, die auf einem länglichen Tisch neben dem Ausgang aufgereiht standen – sie waren für danach gedacht gewesen, wenn die strahlenden Darsteller sich mehrfach verbeugt hätten, der tosende Beifall versiegt wäre und die Zuschauer sie und die Schauspieler mit Glückwünschen und Komplimenten überschüttet hätten. Wer zum Teufel hatte es gewagt, ihre schöne Premiere für einen Mord zu missbrauchen? Ging das nicht anderswo, im Wald, im Garten oder nachts auf der Straße? Und ohne ihr rotes Messer? Ach, sie war schrecklich – dass ihr solche Gedanken kamen!
    Neben Pilar tauchte Rita auf, völlig aufgelöst, mit dunklen Flecken unter den Achseln.
    »Datt jeet de janze Nacht wigge, Pilar. En de Keller senn se, en de Kiresch senn se, on drusse em Rähn senn se och!« Sie schüttelte den runden Kopf mit dem silbergrauen Haar. Es sollte wohl missbilligend wirken, aber ihre Augen leuchteten, als ob sie das Polizeiaufgebot auch ein bisschen genießen würde. »Soll isch dänne watt Cola und Limo jävve?«
    Pilar nickte nur und trat nach draußen in den Nieselregen. Auf der Wiese vor dem Kirchturm spannte sich rot-weißes Absperrband. Ein Streifenwagen fuhr langsam zwischen den Grüppchen hindurch, die mit aufgespannten Schirmen oder Kapuzen über dem Kopf auf dem Vorplatz standen, und bog in die Straße ein. Die Menschen sprachen gedämpft miteinander. Manche verstummten, als die Kriminalbeamten mit Pilar und Freddy vorbeigingen.
    Auch vor dem Weidezaun auf der anderen Straßenseite hatten sich zahlreiche Leute versammelt. Pilar erkannte das bleiche Gesicht von Senta Bindelang mit dem gewohnten verkniffenen Ausdruck, daneben deren Sohn Nils oder Niklas und die Aushilfe aus dem Schreibwarenladen, die goldblonde Frau Fischmann, die oft von ihrem viel beschäftigten Mann und ihrem Sohn in Kanada sprach und auch jetzt, wie Pilar den lebhaften Bewegungen von Kopf und Händen entnahm, einiges zu erzählen hatte.
    Kommissar Möller hielt Pilar die hintere Tür eines grauen Opels auf. Freddy stieg auf der anderen Seite ein.
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