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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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Kottenforst bog ich um eine Ecke und sah, wie eine Gestalt schwarz und panthergleich aus einem Garten hervorpreschte, eine alte Frau niederschlug und mit ihrer Handtasche verschwand, ohne mich im Schatten einer Fichte wahrzunehmen. Obwohl ich sofort den Notarzt rief, verstarb die Frau noch am Tatort.
    Nadja, ich hatte den Täter erkannt! Ich wusste sofort, wer er war. Es hätte Nebel herrschen können, ich wäre mir ebenso sicher gewesen. Vor Jahren hatte er den Kleinen auf dem Schulweg aufgelauert, sie mussten Zoll zahlen, er drohte ihnen mit dem Messer und »zeichnete« sie. Zwei von den Kindern hatten Narben am Arm, erklärten aber, sie rührten vom Schnitzen mit dem Taschenmesser her. Alle hielten dicht, sodass man ihm nichts nachweisen konnte. Erstaunlich, wie er das hingekriegt hat. Aber nun dies: schwerer Raub mit Todesfolge und keine Zeugen außer mir.
    Ich hatte ihn in der Hand. Ich konnte ihn untergehen lassen oder retten, ihn genau beschreiben oder nichts gesehen haben, wie ich bei der Polizei behauptet hatte. Es wäre ein Leichtes für mich, das zu berichtigen. Wenn er das verhindern wolle, so lautete die Botschaft, die ich ihm auf sein Handy gesandt habe, könne er mich im Wald treffen; der Kottenforst sei im November, bei diesem Wetter, verschwiegen und die Schutzhütte an der Flerzheimer Allee weit genug entfernt.
    Natürlich ging er darauf ein. Als ich von dem Wanderparkplatz, der völlig leer war, den schnurgeraden Weg heraufkam, saß er bereits in der dunkelsten Ecke der Hütte und spielte mit seinem Smartphone. Wir sind uns schnell einig geworden. Vor allem war er scharf auf das Geld, das ich ihm versprochen hatte, um ihn stärker zu motivieren. Niemand hat uns gesehen, nicht mal der Rehbock, der über den Weg sprengte.
    Nadja, mein Plan war genial! Ich hatte gehört, dass das Weib die Premiere des Krimistücks besuchen und vorher nach ihrer Tante sehen wollte, die in der Nähe der Kirche wohnt. Dort habe ich ihn hingeschickt. Das Haus liegt hinter einer hohen Hecke, der Plattenweg ist kaum beleuchtet, und am Apfelbaum lehnt seit Wochen eine Hacke, die irgendwer vergessen hat. Kein Mensch hätte etwas bemerkt. Die Tante ist fast taub, die Nachbarn sehen um diese Tageszeit fern.
    Stell Dir mein Entsetzen vor, als ich die dämliche Frisur des Weibstücks im Gemeindehaus verschwinden sah! Ich war so geschockt, dass ich mehrmals den Sportplatz umrundete. Als ich mich halbwegs beruhigt hatte, hörte ich den Tumult. Was für ein Irrsinn! Warum solche Risiken, warum nicht der Plattenweg und die Spitzhacke? Ich muss ihn zur Rede stellen.
    Alles Liebe,
    Chris

VIER
    Es nagte an Freddy und biss ihn in seinem tiefsten Inneren, es schmeckte nach Schuld. Das Schicksal hatte einen Detektiv an den Tatort gestellt, und der hatte nichts bemerkt. Super, Junge. Mach weiter so, und du kannst das Schild an deiner Haustür abmontieren.
    Nicht ahnend, dass es ein Schritt in eine persönliche Krise war, hatte er den Stehplatz hinter der letzten Stuhlreihe eingenommen, diese Lücke am Rand. Der Saal war unglaublich voll, er war zu spät dran. Die Küsterin mit dem runden Gesicht war gerade dabei, die Tür zu schließen, und hielt einen Spalt für ihn offen. Er bemühte sich, schnell hindurchzuschlüpfen, wobei der Ärmel seiner Cordjacke an der Klinke hängen blieb. Ein Ruck, ein Knacken und unzählige Augen, die ihn anblickten, das war seine deutlichste Erinnerung. Auch die Frau mit dem weißblonden Haar, das von der Stirn bis in den Nacken in parallele Wellen gelegt war, sah ihn an, mit vorstehenden Augen und hochgezogenen Brauen. Glotz nicht so, dachte er, jeder kann mal zu spät kommen. Kurz darauf war das Licht ausgegangen.
    Mit solchen Gedanken, mit Reue und Selbstvorwürfen, verließ Freddy das Polizeipräsidium und ging die Königswinterer Straße hinunter Richtung Beueler Zentrum. Er hatte dem Oberkommissar, der ihn vernommen hatte, nichts mitteilen können, was die Polizei weiterbringen konnte. Nun wollte er, musste er zu Fuß gehen und sich diesen kalten, feindlichen Nachtwind um die Nase wehen lassen, einen Wind, wie er ihn verdient hatte. Vielleicht gelänge es ihm doch noch, aus dem Knäuel von Erinnerungen etwas Brauchbares herauszufiltern, auch wenn es der Frau nicht mehr helfen würde.
    Zum wiederholten Mal ließ er vor seinen Augen den Film ablaufen, sah noch einmal seine Umgebung vor sich, als er sich an seinen Platz stellte. Wenige Gesichter hatten sich ihm eingeprägt, bevor sie mit der Dunkelheit
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