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Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman

Titel: Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
Autoren: Susan Fraser
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erneut hat mich die Übelkeit überfallen und aufgehalten. Ich habe in der Toilette gehockt und einfach nur darauf gewartet, dass die Welle wieder abebbte. Die Morgenübelkeit ist zu einer Jederzeit-Übelkeit geworden. Inzwischen sollte sie eigentlich vorbei sein, ist sie aber nicht.
    Kühle Tropfen fallen auf mein Gesicht, als ich auf den Platz hinauskomme, als ich aus dem Dunkeln in den weiten Raum aus Licht trete. Die Glaspyramide steht scheinbar schwerelos inmitten der Cour, als modernes Pendant zur majestätischen Pracht der großartigen alten Gebäude, die ihn säumen. Als ich zum Eingang hinübergehe, prasselt der Regen schon in Strömen auf die klaren Glasscheiben der Pyramide herunter.
    Ich schaue nach oben. Als wir das letzte Mal hier waren, hatten wir Charlie bei uns - er war erst fünf. Er stellte sich unter die Pyramide, genau in die Mitte. Auch damals regnete es. Charlie guckte mit seinen großen blauen Augen nach oben und zeigte auf das Glas voller Wasser.
    »Wir sind Fische!«, rief er. »Fische im Aquarium!«
    Wie die Stimme eines Chorknaben, rein und unschuldig, hallte seine Stimme durch den riesigen offenen Raum.
    Ich stehe oben an der großen Wendeltreppe und blicke in das Eingangsfoyer hinunter. Marc ist nicht da. Ich sehe auf die Uhr. Viertel vor sieben. Ja, ich bin zu spät, aber so viel zu spät nun auch wieder nicht. Beim Hinabgehen wird mir wieder schwindlig, deshalb bleibe ich auf halber Treppe stehen, atme tief und hoffe, dass der Schwindel nachlässt. Besonders wohl fühle ich mich im Moment jedoch nicht. Ich klammere mich an das Stahlgeländer. Touristen drängen vorbei, stoßen mich an, schauen verwundert zu mir hoch.
    Unten bewegt sich die Menge wie auf Ameisenstraßen in allen Richtungen über die honigfarbenen Fliesen. An der Wand entdecke ich eine einsame Gestalt - ein Kind, ein kleiner Junge, drei oder vier Jahre alt. Mit der Hand vor dem Mund sieht er ängstlich umher. Offenbar hat er sich verlaufen. Es könnte Charlie sein. Mit dem sandfarbenen Haar, dem runden Gesicht und dem kompakten kleinen Körper gleicht er meinem Sohn in dem Alter. Mit den Blicken suche ich den Raum unter mir nach seinen Eltern ab, aber niemand scheint ihn zu vermissen. Das Kind steht regungslos da, sein Gesicht ist so weiß wie die Wand hinter ihm. Es fängt an zu weinen.
    Das macht mich nervös. Noch einmal schaue ich nach den Eltern, aber noch immer scheint niemand nach dem Kind zu suchen. Also laufe ich schnell die Treppe hinunter, ohne den Blick von dem Jungen abzuwenden. Ich will ihn nicht aus den Augen verlieren.
    Ich komme unten an, bin jetzt auf gleicher Höhe mit den Menschenscharen, sehe ihn aber nicht mehr. Mist! Ich flitze hin und her und versuche verzweifelt, ihn wiederzufinden. »'tschuldigung. Pardon«, sage ich, während ich mich durchdränge. Eine füllige Frau in einem geblümten Kleid tritt mir in den Weg und bleibt seelenruhig stehen, wie ein Buddha. Ich verliere die Geduld. Weg da, Frau! Aber sie kann meine Gedanken nicht lesen, daher rührt sie sich nicht vom Fleck. Ich hetze um sie herum. Plötzlich entsteht eine Lücke in der Menge. Ich sehe ihn. Er ist noch da. Braver Junge!
    Ich habe ihm immer eingeschärft: »Wenn du dich verläufst, dann rühr dich nicht von der Stelle! Bleib da, wo du gerade bist. Mummy und Daddy finden dich.«
    »Alles in Ordnung!«, rufe ich. »Ich komme!«
    Allmählich errege ich aufsehen. Ein paar Leute treten zur Seite, um mich durchzulassen.
    »Danke«, sage ich. »danke schön. Merci, Monsieur!«
    »Ich glaube, sie hat ihr Kind verloren«, höre ich eine Frau hinter mir sagen. Eine australische Stimme.
    Und da erinnere ich mich. Es war ein wirklich heißer, schwüler Tag in Sydney, und wir hatten Charlie mit nach Bondi zum Baden genommen. Wir hatten bis zum späten Nachmittag gewartet, um den Menschenmassen zu entgehen, aber der Strand war immer noch brechend voll. Wir saßen auf dem feuchten Sand direkt am Wasser und beobachteten Charlie. Die Wellen überspülten unsere Füße, weicher Sand sickerte zwischen unsere Zehen. Charlie rannte hin und her. Er spielte mit den Wellen Fangen, und wenn das schaumige Wasser um seine Beine aufspritzte, kreischte er und klatschte vor Vergnügen in die Hände.
    Er war so schön.
    Ich weiß noch, dass es nur ein Moment war, nicht mehr als wenige Sekunden, die wir uns abwandten. Ein Flugzeug lenkte uns ab. Mit weißem Rauch schrieb es eine Nachricht in den Himmel.
    »ich glaube, das ist ein O.«
    »Non, das ist ein C -
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