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Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman

Titel: Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
Autoren: Susan Fraser
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Wangen, trotz der bitterkalten Luft. Da ist er wieder, dieser vertraute Satz, diese Formulierung, die alles und nichts bedeuten kann und die sie alle benutzt haben - mein Vater, Marc und nun auch noch Beattie.
    Ich zittere, als ich ihr in die Augen blicke. »Dann sag mir doch bitte, Beattie: Was soll ich denn denken?«
    Ruhig erwidert sie meinen Blick, so als wäre ich hier die Schwierige. »Du verstehst das nicht.«
    »Was gibt es da zu verstehen?« Verzweifelt werfe ich die Hände hoch. »Du hast mit ihm geschlafen. Deutlicher kann man es nicht ausdrücken.«
    »Ja, du hast recht, das habe ich getan.« Beattie nickt, und ihre roten Locken umspielen ihr Gesicht, die weiße Haut, die feinen Züge. Sie sieht wie ein Engel aus. »Aber ich habe von Anfang an mit ihm geschlafen.«
    Dieses unverblümte Geständnis macht mich sprachlos. Habe ich die Frau, die hier vor mir steht, eigentlich jemals gekannt?
    »Wie bitte? Und damit soll es mir besser gehen?«
    »Du hörst mir nicht zu, Annie.« Beattie tritt näher und fixiert mich mit ihren grünen Augen. »Er kam gerade aus deinem Unterricht, nach deiner ersten Stunde mit ihm. Wir sind im Flur zusammengestoßen. Er hat mich zum Essen eingeladen.«
    Damit hatte ich nicht gerechnet - es ist wie ein Fausthieb in den Magen, wenn man einen Schlag ins Gesicht erwartet hat. Ich fahre zurück. Ich erinnere mich, wie ich Beattie damals kennengelernt habe - im Flur, mit dem Bücherstapel, der ihr bis zum Kinn reichte. So stelle ich mir ihre erste Begegnung jetzt auch vor - die beiden kauern voreinander, so dicht, dass ihre Knie sich berühren, und sammeln Beatties Bücher auf. Seine Hand streift ihre, als sie nach demselben Buch greifen, und ihre Blicke treffen sich. »Ah!«, ruft er aus, verzaubert. Sie reicht ihm die Hand, ihr Blick ist fest. »Ich bin Beattie.«
    »Es tut mir leid, Annie, ich -« Ihre Stimme versagt. Sie greift nach meiner Hand. »es tut mir wirklich leid.«
    Immer noch schäumend vor Wut, weiche ich zurück. »Und das konntest du mir nicht sagen, Beattie? Eigentlich waren wir doch Freundinnen - weißt du das noch?«
    Doch da fällt mir auf, dass ihre Gesichtszüge sich verändern. Sie wendet den Blick ab und schaut zu Boden. Ich bin bestürzt. Das habe ich bei ihr noch nie erlebt, in all den Jahren nicht, seit ich sie kenne. Beattie weint, die Tränen strömen ihr übers Gesicht.
    »Am Anfang konnte ich es dir einfach nicht erzählen - es sollte doch niemand etwas davon erfahren. Weil ich ja wusste, dass er verheiratet war. Ach Gott, Annie, wenn meine Familie das erfahren würde - mein Vater würde mich umbringen! Seine Tochter hat ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann! Aber ich konnte einfach nicht Schluss machen. Du weißt doch, wie das ist, Annie, wie das ist, wenn man mit ihm zusammen ist.«
    Als ich diese Worte höre und ihr nun ins Gesicht sehe, trifft es mich wie ein Schlag - wie jung sie ist! Sie ist ein junges Mädchen, ein junges, dummes Ding. Genau wie ich es war. Ja, ich weiß, wie das ist. Aber ich denke an Marc, nicht an Carlo.
    »Ich habe mir immer vorgenommen, ihm zu sagen, dass es aus ist, aber wenn er mich dann angerufen hat, wenn ich ihn wiedergesehen habe, dann konnte ich es einfach nicht, Annie! Es war unmöglich. Und als du dann auch noch ein Verhältnis mit ihm angefangen hast, war ich total verzweifelt, ich war todunglücklich! Ich habe bloß immer gebetet, dass du zur Vernunft kommen würdest - dass du kapieren würdest, dass -«
    »Was sollte ich kapieren, Beattie?«
    »Dass er nicht gut genug für dich war, Annie! Dass er verheiratet war! Dass -«
    »Ach, Beattie«, seufze ich. »Und das ausgerechnet von dir - das klingt komisch!«
    Aber als sie meinen Blick erwidert, sehe ich in ihren Augen diese unlogische, unvernünftige Verrücktheit, die ihre Gedanken und ihr Herz beherrscht. Die Leidenschaft. Es gibt nichts mehr, was ich ihr noch sagen könnte. Sie steckt zu tief drin. Also wende ich mich ab und laufe zum Bahnhof zurück.
    »Annie!«
    Aber ich drehe mich nicht um, denn meine Gedanken kreisen schon um etwas anderes. Selbstquälerisch grüble ich über etwas nach, was mir viel, viel mehr zu schaffen macht als Beatties Affäre mit Carlo. Am liebsten würde ich schreien: »Hast du das bei Marc auch so empfunden? Ist das deine Ausrede?«
    Aber diese Frage kann sie mir nicht beantworten.

45
 
    D as Erste, was mir auffällt, als ich das Stück Papier aus der Manteltasche ziehe: Ich habe zugenommen. Dreiundfünfzig Komma zwei
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