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Kopfloser Sommer - Roman

Kopfloser Sommer - Roman

Titel: Kopfloser Sommer - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Probleme mit dem jungen Mann geben wird.
    »Er steht noch immer unter Schock«, wende ich ein. »Wenn er nach Hause kommt und darüber nachdenkt, ändert er vielleicht seine Meinung. Möglicherweise zeigt er dich an.«
    »Wird Mama dann bestraft?« Jacob geht zur Wohnzimmertür. Er schaut auf die Treppe zum ersten Stock hinauf, er fühlt sich offensichtlich nicht wohl mit einem fremden Mann im Haus. »Kommt sie dann ins Gefängnis?«
    »Nein, sie kommt nicht ins Gefängnis. Aber vielleicht verlangt er Schmerzensgeld. Ich denke, es ist besser, wir behandeln ihn anständig.«
    »Das tun wir doch auch«, widerspricht Mutter. »Aber was sind das für sonderbare Geräusche, die er von sich gegeben hat? Und wer ist er überhaupt?«
    »Ich weiß genau, wer er ist. Und du auch, oder Emilie?«
    Ich schüttele den Kopf, als der junge Mann die Treppe hinunterkommt und auf die Terrasse tritt. Er hat sich das Blut aus dem Gesicht gewaschen und ein Pflaster auf den Riss an der Augenbraue geklebt.
    »Das Pflaster ist doch viel zu klein«, sagt Mutter. »Ich denke, du solltest zum Notarzt gehen. Du bekommst eine hässliche Narbe, wenn der Riss nicht ordentlich genäht wird. Ich kann dich fahren.«
    Doch davon will er nichts hören. Er setzt sich wieder in den Korbsessel und zieht die Beine zum Schneidersitz unter sich. Dann atmet er tief durch und schaut über den Garten.
    »Ich habe als Kind hier gewohnt«, beginnt er. »Und da ich gerade in der Nähe war, wollte ich mir mal den Garten ansehen; vom Bürgersteig aus. Aber irgendwie reichte mir das nicht, plötzlich hatte ich Lust hineinzugehen. Und als ich hinter der alten Weide stand, da … na ja, was soll ich sagen … die Erinnerungen an damals haben mich übermannt.«
    Mutter und ich schauen uns an. Die Erinnerungen haben ihn übermannt, behauptet er. Wir haben ihn weinen gehört! Und wir dachten, er sei gefährlich. Mir ist es peinlich, und ich glaube, Mutter auch.
    »Du hast als Kind hier gewohnt?«, fragt sie aufmunternd.
    »Ja. Hier ist so viel passiert. Schöne und weniger schöne Dinge. Vor allem weniger schöne, aber ich denke, davon habt ihr gehört?«
    Wir schütteln die Köpfe, denn wir wissen ehrlich gesagt nicht, wovon er spricht. Aber wir würden es gern wissen. Er schaut auf seine Hände, und wieder fällt mir ihre Größe auf; unter den Nägeln ist Erde. Als er den Mund öffnet, bringt er kein Wort heraus. Offenbar weiß er nicht, wo er anfangen soll. Schließlich gibt er es auf und breitet die Arme auf eine Weise aus, die ihn älter erscheinen lässt, als er wirkt.
    »Ach, das ist ja auch schon so lange her.«
    Er streckt die Beine aus und will aufstehen, aber Mutter ist jetzt neugierig geworden und schubst ihn beinahe zurück in den Sessel.
    »Hol den Verbandskasten, Emilie, sei so nett.«
    Natürlich werde ich geschickt. Ich hasse es, wenn ich so gescheucht werde, vor allem, wenn wir Gäste haben. Es ist ohnehin selten genug, denn unsere Freunde aus Kopenhagen finden es ziemlich anstrengend, hier rauszufahren. Wenn wir also endlich mal einen Gast im Haus haben, will ich auch nichts verpassen.
    Als ich ins Badezimmer komme und mich übers Waschbecken beuge, bemerke ich einen ziemlich großen Tropfen Blut auf dem weißen Porzellanrand. Ich will daran riechen. Es hat sich bereits ein Häutchen gebildet; vorsichtig stecke ich meinen Zeigefinger hinein und halte ihn unter die Nase. Ich rieche nichts, aber als ich den Tropfen mit Wasser vermische, kann ich ein Herz malen, das zu einem Gesicht wird. Es verläuft, das Herz fließt in den Abfluss. Es sieht ziemlich krank aus, aber irgendwie auch schön.
    Mutter ruft nach mir, ich habe völlig die Zeit vergessen.Hastig trockne ich das Blut ab, nehme den Erste-Hilfe-Kasten aus dem Schrank und renne beinahe beim Hinuntergehen.
    Mutter hat das Pflaster bereits entfernt. Sie öffnet den Erste-Hilfe-Kasten, schraubt den Deckel von einer kleinen Jod-Flasche und reinigt die Wunde. Die Gesichtsmuskeln unseres Gastes zucken, als sie das Jod auftupft, aber er gibt keinen Laut von sich. Dann wickelt sie Gaze um seinen nach vorn gebeugten Kopf. Irgendwann schaut er zu mir auf und schenkt mir ein kleines zaghaftes Lächeln. Danach bin ich mutig genug, ihn zu fragen: »Wieso hast du hinter dem Baum gestanden und geweint?«
    Er schüttelt nur den Kopf, eine Antwort ist scheinbar zu schwierig. Mutter und ich platzen vor Neugier, aber wir wollen ihn nicht unter Druck setzen. Jacob hingegen hat damit überhaupt kein Problem.
    »Komm! Sag
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