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KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes

KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes

Titel: KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes
Autoren: Peter J. Scholz
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Stunden-, tage-, wochenlang können sie darauf verwenden, einen neuen Charakter zu erschaffen. Von dem Szenario mal ganz abgesehen. Ein gutes Szenario zu erschaffen, eine Geschichte zu entwickeln, die historisch fundiert, eine schöne neue Welt heraufzubeschwören im Stande ist — dies ist das absolute Nonplusultra für jeden Gamer. So nennen sich die Rollenspieler untereinander. Klingt cool und spricht sich auch nicht so umständlich aus wie "Rollenspieler".
    Als ob dies eine Rolle spielen würde: wenn man im Spiel ist und es läuft, ist sowieso alles Weitere um einen herum vergessen. Dann ist Rene nicht mehr Rene Bodenbörger sondern „Sharif der Dieb der Diebe" oder „Bromquist, der Stärkste aller Zwerge" oder „Marabor van Houten, der gewaltigste aller Magier von Konstanbar" (dessen Namensgebung auf einen Heißhungeranfall auf etwas Schokoladiges traf).
    Während Rene im wahren Leben das vollkommen durchschnittliche Leben eines unbeobachteten Te enagers führt — einzig und allein durchbrochen von den Momenten, wenn mal wieder jemand mit hochgezogener Augenbraue auf sein aufeinander abgestimmtes Schwarz in Schwarz seiner Kleidung reagiert — sind seine Alter Egos im Spiel von herausragender Qualität. So herausragend, dass die Superlative seiner von ihm erschaffenen Figuren selbst unter den anderen Rollenspielern meist nur ein mitleidiges Lächeln hervorrufen. Aber das hat Rene bislang noch nicht mitbekommen.
    Doch die Zeiten ändern sich. Alles ist im Fluss.
    Genau wie der perfekte Wurf, der jetzt abgeschlossen ist.
    Dies bringt seinen Dieb durch das verschlossene Tor, weil dieser durch diesen Wurf einen Unsichtbarkeitstrank benutzen kann. Nur schützt ihn das nicht vor den unsichtbaren Hütern des Doms, den er gerade betreten hat.
    Frustriert wendet sich Rene vom Geschehen ab.
    Seine Zunge klebt am Gaumen und er erhebt sich, um am Getränkeautomaten am anderen Ende des Raumes eine Cola zu ziehen. Von seinen Spielkameraden nimmt niemand Notiz, dass Rene die Runde verlässt. Und auch Rene selbst fällt diese Art von Teilnahmslosigkeit nicht weiter auf. Nach wenigen Schritten passiert er den Tisch, an dem die „Vollnerds" ihr Spiel laufen haben. Von den sieben Tischen im Raum ist es der mit dem weitesten Abstand zum nächsten. Aus gutem Grund. Unter "Vollnerds" verstehen Rene und seine Gamer-kumpanen jene Gamer, die sich auch außerhalb des Spiels nur noch mit ihren Rollennamen ansprechen und ansprechen lassen. Einige von ihnen haben den Karneval auf das gesamte Jahr ausgedehnt, indem sie weitestgehend kostümiert durch die Welt wandeln.
    Einer von ihnen ist der im Rollstuhl sitzende Ansgar (den man hier nur Isnogud nennt). Den auch seine Blindheit nicht davon abhalten kann, alle Nase lang eine wirklich beeindr uckende Bastelei präsentieren zu können.
    Bei einem der wenigen Wortwechsel , die sich zwischen Rene und Ansgar bislang ergeben haben, stellte Ansgar lapidar fest, dass er ja vor seinen Problemen oder eventuellen Aufgaben nicht so einfach weglaufen könne. Auch das Aussitzen wäre auf Dauer eher nervig. So ließe er halt seinem Tastsinn freien Lauf. Nase, Mund und Ohren unterstützten ihn dabei.
    Unter diesen Voraussetzungen entstanden bislang ein Dolch aus Edelstahl, dessen Feinschliff so präzise gelungen war, dass ein hochgeworfenes Blatt Papier beim Auftreffen auf die hochgehaltene Klinge so sanft und sauber geteilt wurde, dass auch nach mehrmal igen Darbietungen der Atem stockt.
    Ein Kapuzenmantel aus Leder , den Ansgar trägt, ist — wenn schon nicht von ihm zugeschnitten und genäht — zumindest von ihm entworfen und mit selbst angenähten Knöpfen ausstaffiert worden.
    Und heute scheint Ansgar etwas Neues in die Runde g ebracht zu haben — zumindest wirkt es auf Rene so.
    Ansonsten würden sich die Nerds nicht so ruhig ve rhalten.
    Rene tut cool und vollkommen desinteressiert.
    Er besorgt sich die Cola am Automaten und will schon wieder am Nerdtisch vorbeigehen, obwohl es ihn innerlich vor Neugier zerreißt.
    Aber was würden seine Gamerkollegen von ihm de nken, wenn er sich ganz zwanglos an den "Idiotentisch" (wie er hier von den Spielern an den anderen Tischen genannt wird) stellen würde? Schon als er sich vor Monaten mal zu den drei, vier Sätzen mit Ansgar hinreißen ließ, war das Ergebnis wochenlang Witze seitens seiner Kumpel auf seine Kosten gewesen. Und Witze auf eigene Kosten haben die sehr unliebsame Tatsache grundsätzlich bitter zu schmecken.
    „Das ist ja mal echt krass,
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