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KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes

KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes

Titel: KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes
Autoren: Peter J. Scholz
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zu spät.
    Er war immer ein Mensch, der gerne übersehen wu rde.
    Auch von seiner Frau, meiner Mutter. Die uns aus den Augen verlor, als eine bessere Partie des Weges kam. Und uns zurückließ, wie man ein Fahrrad am Wegesrand zurücklässt, das einen Platten hat. Und nicht mehr ist, als ein Gebrauchsgegenstand.
    Als man mir die Nachricht von seinem Tod übe rbrachte, brach ich zusammen. Stundenlang heulte ich um ihn, dann um mich, dann wieder um ihn. Als der Tränen genug vergossen worden waren, war mein altes Leben tot. Und mein neues begann.
    Zehn Jahre lang…
    Acht Namen hatte ich auf einem Zettel angesammelt. Und jeden davon nacheinander wieder durchgestrichen.
    Niemand von diesen Freunden und Freundinnen ha tte in den zehn Jahren einmal für mich Zeit.
    Wenn selbst Langeweile erträglicher erscheint , als sich mit mir abzugeben – und dass niemand dieser acht in all der Zeit nicht wenigstens einmal unter Langeweile „gelitten“ haben mag, mag mir keiner erzählen – dann sind sie die Gummierung auf der Briefmarke geschweige denn meine Zeilen nicht wert.
    Und so bin nur noch ich da aus meiner alten Welt.
    Ein Stift, den ich mir zwischen die Finger geklemmt im immer selben Takt auf die Tischplatte klopfe. Im Takt meines Herzschlages, der langsam ohrenbetäubend wird.
    Ein Herzschlag, der jeden Gedankengang in den Schrau bstock seines Taktes nimmt und jede Essenz aus ihm presst, bevor er zu Ende gedacht werden kann.
     
    Ich könnte… Aus!
    Ich sollte … Weg!
    Ich…
     
    …schlage meinen Kopf spontan auf die Tischplatte.
    Mit voller Wucht küsst meine Stirn das raue abgeschliffene Holz. Der Schmerz ist stark, stärker jedenfalls als der Herzschlag. Und das reicht mir für den Moment. Denn während mir der Schädel brummt, kämpft sich eine Idee meine Synapsen entlang, das Herz vorher blockierte. Simpel, klar und einnehmend. Der Stift zwischen meinen Fingern wird endlich zum erhofften Mittler zwischen Kopf und Papier.
    Und die Worte fließen. Auf jede Karte. Drei Stück. Immer dieselben. Zwölfmal insgesamt. Nur die dreizehnte Karte weist einen kleinen Unterschied auf.
    Dort beginnt das letzte Wort mit einem "M" statt mit einem "D".
     
    Nach getaner Arbeit stecke ich die Karten in die zum Lieferumfang gehörenden Briefumschläge. Bis auf meine Karte versteht sich. Meine Karte klemme ich aus Mangel an Reißzwecken hinter den Spiegel am Waschbecken. So habe ich sie immer im Blick, wenn ich mir selbst in die Augen sehen muss.
    Nun beginnt der spannendere Teil: diejenigen Namen he rauszufinden, die dieser Sendung bedürfen.
    12 Namen von Menschen, die – wie ich – aus der Bahn geworfen wurden. Die ihre Zeit außerhalb des normalen Pulsschlages der Zeit zu verbringen hatten. Und die sich – vielleicht – ähnlich fühlen wie ich. Und die jede Form von Zuspruch gebrauchen können. So wie kein Mensch allein sein kann und darf. Morgen werde ich meinen Bewährungshelfer darum bitten, mir solche Namen zu nennen. Ich hoffe, er wird sich dieser Bitte nicht verschließen, aber er macht noch nicht diesen sozial-abgestumpften Eindruck, den ich von anderen Beamten her über die Jahre hinweg kennen gelernt habe.
     
    Denn ein "Ich vergebe dir!" können wir alle irgendwann einmal gebrauchen, oder?
    Denn alles muss irgendwann, irgendwie einmal raus …

Alea iacta est...
     
    Es ist wieder soweit.
    Jede Pore seines Körpers strömt Ruhe, Gelassenheit und absolute Zuversicht aus. Der Würfel rollt, der Wurf ist getan.
    Und irgendwo hat sich das Beschwörungsmantra , das bis vor zwei Sekunden in seinem Kopf brauste, dazu bequemt Pause zu machen.
    Ansonsten wäre Rene aufgeregt. Würden ihm kleine Schweißperlen auf der Oberlippe seinen Bartflaum befeuchten. Wäre ihm so, als ob sein Herzschlag — wie von mächtigen Subwoofern übertragen — allen Anwesenden gewahr würde. Nur wenn der Wurf perfekt ist, nur dann findet er diese Ruhe und Gelassenheit. Dummerweise kann er nie vorhersehen, wann dieser magische Moment eintrifft. Und was noch frustrierender ist: WENN er eintrifft, geschieht dies GRUNDSÄTZLICH bei einem Wurf, der NICHT das Spiel entscheiden wird. Es ist ein guter Wurf, die Augenzahl stimmt und seine Spielgefährten beglückwünschen ihn durchaus.
    Aber ihren Ovationen ist dieser bittere Beigeschmack zu entnehmen: „Echt klasse, du, — nur schade, dass uns dies nicht den erträumten Sieg schenken wird."
    Rollenspieler sind schon ein Volk für sich. Manche von ihnen introvertiert bis zur Schmerzgrenze.
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