Kopernikus 6
Hand, machte aber keine Anstalten, sie über das Papier zu führen.
„Er malt mit der Hand“, sagte Electra ihnen. „Neil, zeig es ihnen!“
Er sah die schönen, seltsamen Menschen an, die um ihn herumstanden. „Warum verändert sich das Licht nicht? Wer seid ihr? Was geht hier vor?“
Ein amüsiertes Lachen durchzog die Gruppe wie eine Welle.
Nur Hero lächelte nicht. Sie blickte ihre Gefährten mißbilligend an. „Woher sollte er es wissen?“ Sie hockte sich vor ihm nieder. „Dies hier ist ein Achronos-Punkt, ein Ort, wo die Zeit eingefroren ist.“
Neil zuckte mit den Augen. „Was?“
Ein dunkelhäutiger Junge in einem leuchtenden goldgrünen Sarong – Neil glaubte, daß er Clell hieß – sagte:
„Die Zeit ist wie ein Strom, aber während sie durch das Universum und die Ewigkeit fließt, stößt sie manchmal auf vereinzelte Hindernisse. Das erzeugt Strömungen und Strudel und manchmal auch stille Lachen, wo die Zeit überhaupt nicht fließt. Dieser Strand ist eine solche Lache. Wir glauben, daß es vielleicht an der Zeitlosigkeit von Sand und Meer liegen könnte.“
Hero sagte: „Deshalb gibt es hier also immer Zwielicht und keine Gezeiten. Nichts verändert sich hier.“
Neils Kopf wirbelte, er hatte das Gefühl, kurz vor einer Ohnmacht zu stehen. „Aber ich bin doch einfach hierhergelaufen wie auf jeden anderen x-beliebigen Strand auch.“
„Das haben wir auch getan“, sagte Clell. „Wir wissen nicht genau, warum, aber weil ein Achron zeitlos ist, berührt es alle Zeiten. Es ist gleichzeitig von allen Zeiten aus für jeden zugänglich.“
Neil erinnerte sich an den Trilobiten in seiner Tasche. Er zog ihn hervor und starrte ihn an. „Ihr meint, daß der hier tatsächlich aus dem Paläozoikum angespült wurde?“
Sie nickten.
„Und ich komme aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Und …“ Er blickte in die Runde. Von wann kommst du? hatte Electra gefragt, als sie einander begegnet waren. „Ihr seid aus der Zukunft.“ Er sagte es voller Ehrfurcht.
Sie nickten.
Es verschlug ihm den Atem. „Wann?“
Hero zuckte mit den Schultern. „Wir haben eine andere Zeitrechnung. Es würde dir nichts sagen. Aber von deinem Jahrhundert bis zu unserem ist es eine sehr lange Zeit.“
„Sind die Menschen zu den Sternen geflogen? Haben sie intelligente Lebewesen entdeckt?“
Sie scharrten unruhig umher und wandten sich ab. Hero biß sich auf die Lippe.
Neil kam der Gedanke, daß sie vielleicht Gesetze darüber hatten, die regelten, was sie Menschen aus der Vergangenheit sagen durften. „Entschuldigung“, sagte er. Er wechselte das Thema. „Was passiert, wenn ich fortgehen will?“
„Du gehst einfach fort.“ Hero lächelte wieder. „Du kehrst in deine Zeit zurück, im gleichen Augenblick, in dem du sie verlassen hast. Du wirst wieder anfangen zu altern, und die Zeit wird für dich verlaufen wie früher.“
„Anfangen zu altern? Du meinst, daß ich im Augenblick nicht …“
„Nichts verändert sich hier.“
Er atmete tief durch. „Wie habt ihr diesen Ort genannt?“
„Einen Achronos-Punkt, ein Achron.“
„Und die Menschen in eurer Zeit wissen davon? Es sind wahrscheinlich Urlaubsziele, wie?“ Man mußte sich das einmal vorstellen – ein Jahr Urlaub zu verbringen und in seine Zeit zurückzukehren, ohne einen einzigen Arbeitstag oder einen Gehaltsscheck einzubüßen.
„Also seid ihr hier alle auf Urlaub?“
Wieder wurden sie unruhig und beinahe verlegen. Electra blickte ihn mißmutig an. „Genug geredet, Neil, male mich! Ich möchte sehen, wie jemand mit der Hand malt.“
Es war wie ein Signal. Im nächsten Augenblick kamen sie alle näher, umringten ihn lachend und lebhaft und wollten alle gemalt werden. So schnell er auch arbeitete, mit fliegendem Kohlestift über die Seiten strich und einen nach
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